Instrumentelle Analytik im Einsatz gegen Chemische Kampfstoffe

 

Die Analytik ist eins der wichtigsten Teilgebiete der Chemie. Chemische Analytik wird zum Beispiel in der Medizin eingesetzt, wo sie etwa bei Vergiftungen wertvolle Informationen über das Gift und mögliche Abbauprodukte im Körper liefern kann.

„Alexei Nawalny wurde Opfer eines Angriffs mit einem chemischen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe. Dieses Gift lässt sich zweifelsfrei in den Proben nachweisen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Pressekonferenz am 2. September 2020 zur Situation des Kremlkritikers [1]. Die Bundeskanzlerin stützte Ihre Stellungnahme auf kurz zuvor gewonnene Ergebnisse der forensischen Blutuntersuchung. Nawalny lag zu diesem Zeitpunkt auf der Intensivstation der Charité-Universitätsmedizin Berlin und sein Gesundheitszustand war noch ernst [2]. Einige Tage zuvor war er wegen schwerer Vergiftungssymptome vom sibirischen Omsk nach Deutschland überführt worden in der Hoffnung auf medizinische Rettung und Aufklärung der Ursachen [3].

Nervenkampfstoffe stören die Reizweiterleitung

Die klinischen Daten legten nahe, dass eine Vergiftung mit einem Cholinesteraseinhibitor vorlag [3]. Substanzen mit dieser Giftwirkung stören im Organismus die Reizweiterleitung durch den Neurotransmitter Acetylcholin. Sie rufen in schweren Vergiftungsfällen den Tod durch Atemstillstand hervor. Zu den toxikologisch bedeutendsten Inhibitoren der Acetylcholinesterase gehören phosphororganische Pestizide und die Klasse der militärisch relevanten Nervenkampfstoffe (NKS). Somit war zu befürchten, dass auch Nawalny mit einem NKS vergiftet worden war. Ein Beitrag zu Nowitschok ist hier auf FaszinationChemie veröffentlicht.

Chemiewaffenübereinkommen verbietet Kampfstoffe

Chemische Kampfstoffe (CKS) sind hochgiftige Substanzen, die seit 1997 durch das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) international geächtet sind. Das CWÜ ist ein völkerrechtlicher Kontrollvertrag, der unter anderem die Herstellung, Lagerung, den Transport und insbesondere den Einsatz von Chemischen Kampfstoffen verbietet [4]. Doch trotz des Verbotes ließ sich in jüngster Vergangenheit immer wieder beweisen, dass Chemische Kampfstoffe im kriegerischen Konflikt im Nahen Osten [5, 6] (Abb. 1) sowie für gezielte Tötungsversuche von Einzelpersonen eingesetzt worden waren [7].

Aufsicht durch die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW)

Die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) überwacht die Einhaltung des Chemiewaffenübereinkommens und klärt vermutete Verstöße auf. Die Organisation hat in Den Haag/Niederlande ihr Hauptquartier und wurde 2013 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Organisation verfügt über ein internationales Netzwerk qualifizierter nationaler Labore, die auf den Nachweis von Chemischen Kampfstoffen spezialisiert sind. Besteht ein Labor die alljährlichen Leistungstests (Proficiency Tests) der OVCW, gehört es zum Kreis der designierten Labore dieser Organisation (Abb. 2). Diese stehen dann zur Verfügung, um Realproben von Verdachtsfällen im Auftrag der OVCW zu untersuchen und Bericht zu erstatten.

Speziallaboratorien für den Giftnachweis

Bewiesen wird der Einsatz von Chemischen Kampfstoffen durch instrumentell analytische Untersuchungen von Umweltproben wie Wasser, Boden und Beton sowie von biomedizinischen Proben wie Blut, Plasma, Urin und Gewebe. Für die Analyse biomedizinischer Proben sind weltweit derzeit 18 Labore designiert, darunter auch das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw) (Abb. 2) [3].

Das InstPharmToxBw ist ein Forschungsinstitut, in dem Mediziner, Pharmazeuten, Biologen und Chemiker in einem interdisziplinären Team an der Verbesserung der Therapie von Vergiftungen durch Chemische Kampfstoffe arbeiten. Neben diesen Aspekten des medizinischen C-Schutzes stellt die Verifikationsanalytik (forensische Untersuchung biologischer Proben) einen wichtigen Schwerpunkt der Tätigkeiten dar (Abb. 3).

Ein Großteil der analytischen Methoden am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr zum Nachweis der Vergiftung durch Chemische Kampfstoffe ist durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) nach der Forensik-Norm DIN/EN/ISO 17025 akkreditiert. Wegen dieser besonderen und in Deutschland einzigartigen Qualifikation wurde das InstPharmToxBw dann auch von der Charité gebeten, bei der Aufklärung der Vergiftungsursache von Nawalny zu unterstützen [3, 8].

Bevorzugte Untersuchung von Plasma und Urin

Um zu beweisen, ob und mit welcher Noxe eine Person vergiftet wurde, werden mit Vorzug Plasma und Urin untersucht. Dabei wird neben dem originären Gift insbesondere nach dessen Abbau- (Biotransformations-) und Reaktionsprodukten mit DNS und Proteinen (Addukten) gesucht [7] (Abb. 1). Die hohe Reaktivität der Chemischen Kampfstoffe stellt nicht nur toxikologisch, sondern auch analytisch eine große Herausforderung dar. Substanzabhängig kann schon nach einigen Stunden bis wenigen Tagen das Gift so weit abgebaut sein, dass die originäre Verbindung nicht mehr nachgewiesen werden kann.

Der Fingerabdruck des Giftes wird entschlüsselt

Hydrolyseprodukte des Giftes (Reaktionsprodukte mit Wasser) können hingegen insbesondere im Urin bis zu ungefähr einer Woche nach Exposition erfasst werden. Die längste Halbwertzeit haben jedoch Addukte mit körpereigenen Proteinen. Viele dieser Reaktionsprodukte sind über Wochen und gar Monate im Blut oder Gewebe stabil. Diese Eigenschaft verlängert in entscheidendem Maße das Zeitfenster, welches zwischen dem Vergiftungsereignis und der Probennahme genutzt werden kann. Eine deutlich verlängerte Zeit ist insbesondere dann von entscheidender Bedeutung, wenn das Probennahmeteam aufgehalten und der Zugriff auf die Patienten verzögert werden. Zur Detektion der Giftsignaturen werden überwiegend Flüssig- und Gaschromatographie in on-line Kopplung mit Tandem-Massenspektrometrie eingesetzt (Abbildung 1). Diese Techniken erlauben ein Höchstmaß an Selektivität und Sensitivität. Beides sind Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Spurenanalytik.

Faszination vor ernstem Hintergrund

Der dargestellte Bereich der Analytischen Chemie stellt eine stete spannende Herausforderung dar, die chemisches und toxikologisches Verständnis mit modernster Analysengerätetechnik vereint. Kombinationsfähigkeit und Faszination für die Spurensuche im Sinne des Völkerrechtes sind treibende Kräfte für die erfolgreiche Arbeit analytischer Chemikerinnen und Chemiker am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr.

Regierungsdirektor Prof. Dr. Harald John

Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw), München

Quellen

[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/erklaerung-der-bundesregierung-im-fall-nawalny-1781790 

[2] https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/viertes_statement_der_charite_ ​​​​​​​gesundheitszustand_von_alexei_nawalny_weiterhin_ernst​​​​​​​ 

[3] Steindl, Boehmerle, Körner, Praeger, Haug, Nee, Schreiber, Scheibe, Demin, Jacoby, Tauber, Hartwig, Endres, Eckardt. Lancet 397 (2021) 249–52.

[4] https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Chemiewaffenuebereinkommen/ chemiewaffenuebereinkommen_node.html 

[5] John, van der Schans, Koller, Spruit, Worek, Thiermann, Noort.Forensic Toxicology 36 (2018) 61-71

[6] John, Koller, Worek, Thiermann, Siegert.Archives of Toxicology 93 (2019) 1881-1891.

[7] John, Thiermann. Journal of Mass Spectrometry and Advances in the Clinical Lab 19 (2021) 20-31.

[8] https://www.welt.de/politik/deutschland/article214525406/Fall-Nawalny-Charite-schaltet-Bundeswehr-ein.html

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