Ein schwieriges Thema: Glyphosat
Es ist eine Weile ruhig geworden um Glyphosat. Nun aber läuft das neue Wiederzulassungsverfahren in der Europäischen Union. Findet sich Glyphosat in Lebensmitteln, in der Umwelt, im Menschen? Warum macht uns Analytikern Glyphosat das Leben so unendlich schwer? Wie geht es mit dem Herbizid weiter?
Warum ist Glyphosat so beliebt?
Seit seiner Zulassung 1974 hat das Breitbandherbizid andere Herbizide (Unkrautbekämpfungsmittel) verdrängt und auch die Entwicklung neuer Herbizidwirkstoffe unattraktiv gemacht. Einmal von den Pflanzen über die Blätter aufgenommen, verteilt sich Glyphosat bis in die Wurzeln. So können auch problematische mehrjährige Wurzelunkräuter erfolgreich bekämpft werden. Außerhalb der EU wurden Glyphosat-resistente Nutzpflanzen eingeführt, so dass nun über 800.000 Tonnen jährlich eingesetzt werden [1], Tendenz steigend. Mit dem Auslaufen des Patentschutzes gibt es heute fast 100 Produzenten weltweit.
Warum wird Glyphosat so intensiv diskutiert?
Wörtlich in „aller Munde" war Glyphosat, als Rückstände in vielen Bieren nachgewiesen wurden. Sehr kontrovers wurde vor allem die mögliche kanzerogene Wirkung von Glyphosat diskutiert. Die Internationale Agentur für Krebsforschung bewertete Glyphosat 2017 als „wahrscheinlich karzinogen“ (krebserregend) [2]. Dem entgegen stehen behördliche Bewertungen aus vielen Ländern (u.a. Australien, Kanada, Japan, USA), auch im laufenden aktuellen Zulassungsverfahren der EU wird die Kanzerogenität verneint [3]. Die Gründe für die unterschiedliche Bewertung sind vielfältig: unterschiedliche Datengrundlagen, Bewertungskriterien, Bewertung des Wirkstoffes vs. des Gesamtproduktes inkl. Hilfsstoffe, statistische Verfahren und nicht zuletzt ein Einbezug des Risikos der Exposition.
Weitgehend unbeachtet im öffentlichen Diskurs ist die EU-Bewertung, dass Glyphosat „toxisch für aquatisches Leben mit langfristigen Effekten ist“ [3,4]. Wie alle Breitbandherbizide nimmt Glyphosat Einfluss auf die Biodiversität, indem es die Verbreitung von Wildpflanzen z.B. am Ackerrand, aber auch entlang von Bahnlinien reduziert.
Warum ist es bei analytischen Chemikerinnen und Chemikern so unbeliebt?
Glyphosat ist ein kleines Molekül mit Amin-, Carbonsäure- und Phosphonatgruppe. Es absorbiert nicht bei gängigen Wellenlängen, ist bei pH 7 zweifach geladen und sehr polar. Gängige analytische Verfahren sind nur mit zusätzlichem Aufwand einsetzbar. Glyphosat klebt, wo immer es kann: auf Glas, an Mineralien, etc. Das macht seine Extraktion und Lagerung sehr schwierig und fehleranfällig. Glyphosat liebt zwei- und dreiwertige Metallkationen, mit denen es Komplexverbindungen bildet, was in der Analytik empfindlich stören kann.
Für dieses Herbizid sind eigenständige Methoden notwendig und diese werden noch immer weiterentwickelt. Das macht das Monitoring von Glyphosat aufwendig und sehr teuer. Wir Analytikerinnen und Analytiker müssen Nachweisgrenzen kleiner 0,1 µg/L (Mikrogramm pro Liter) für Grund- und Trinkwasser erreichen. Das ist weniger, als wenn wir die Cheopspyramide mit Wasser füllen und ein Stück Würfelzucker darin auflösen würden. Bei Lebensmitteln sind die Grenzwerte 0,1 – 20 mg/kg (Milligramm pro Kilogramm).
Wo steckt Glyphosat überall drin?
In Lebensmitteln:
In 97% von 13.000 untersuchten Lebensmittelproben in der EU wurde KEIN Glyphosat nachgewiesen, hauptsächlich in Leinsamen, Linsen, Gerste, Hafer, Bohnen und Weizen [5]. Grenzwerte wurden nur in 0,1% der Proben überschritten. Etwas erhöht sind die Rückstände in Ländern mit feuchtem Klima wie Irland [6]. Anders sieht es aus in Ländern, in denen Glyphosat-resistente Nutzpflanzen angebaut werden: 50% positive Proben in den USA, bei Soja fast 70% [7]; 50% positive Proben ebenso in Kanada, stark belastet hier Hülsenfrüchte, mit 30% positiver Proben leider aber auch Säuglings- und Kindernahrung. Bei der Belastung von Hülsenfrüchten spielt auch die in der EU ganz stark eingeschränkte Sikkation eine Rolle, bei der Glyphosat kurz vor der Ernte gesprüht wird, um ein gleichmäßiges Abreifen der Feldfrüchte zu erreichen.
In der Umwelt:
In einer großen Studie wurde Glyphosat in 21% von über 3000 untersuchten europäischen Ackerböden nachgewiesen mit Rückständen von 20-2050 µg/kg [8]. Es gibt kaum positive Befunde für Glyphosat in Grundwasser: 1% bei 66 000 untersuchten Proben in der EU in 2015 (nur 0,64% oberhalb des Grenzwertes) [9]. Unsere aktuelle Forschung zeigt Ablagerungen von Glyphosat auch in tiefen Schichten von See-Sedimenten. In der sauerstoffarmen Umgebung dort wird es kaum mikrobiell abgebaut. Eine vollständige Extraktion aus Böden ist kaum möglich. Daher besteht die Gefahr, dass die ermittelten Konzentration zu niedrig sind.
Im Menschen:
Urinanalysen zeigen eine fast flächendeckende Belastung mit Glyphosat mit Urinkonzentrationen von 0.16 bis 7.6 μg/L [10]. Für Deutschland wurden Werte von im Mittel ca. 1 µg/L (Höchstwerte 1.6 µg/L) beschrieben, mit signifikant niedrigeren Werten bei Probanden, sie vornehmlich Biolebensmittel konsumieren [10].
Wie geht es weiter mit Glyphosat?
Aktuell (Herbst 2021) läuft das Wiederzulassungsverfahren in der EU. Die ersten Bewertungen zeigen, dass Glyphosat wohl auch in diesem Verfahren die Zulassungskriterien erfüllen wird [11]. Aber es sind die Mitgliedstaaten, die die Entscheidung treffen. Mit dem Brexit fällt ein großer Befürworter weg. Deutschland hat bereits angekündigt, ab 2024 Glyphosat nicht mehr einzusetzen. Unabhängig von Zulassungen gerät Glyphosat aber stark unter Druck, da sich durch den hohen Einsatz Resistenzen in Wildpflanzen bilden, gerade in den USA, nun aber auch in Europa.
Was sind die Alternativen?
Das sind andere Herbizide und Hebizidmischungen, Pflugbewirtschaftung, die aber den Boden negativ beeinflusst und die mechanische Unkrautbekämpfung beispielsweise entlang Bahnlinien. Veränderte Fruchtfolgen können ebenso helfen, Unkräuter zu bekämpfen. Vielleicht ist es am Ende eine Wildpflanze selbst, die Teil hat an den Entscheidungen. Der Ackerfuchsschwanz macht Bauern bereits heute massive Probleme in der Bewirtschaftung (und wird gegenüber Glyphosat und anderen Herbiziden zunehmend resistent) [12].
Literatur
[1] Benbrook, C.M. Trends in glyphosate herbicide use in the United States and globally. Environ. Sci. Eur. 2016, 28, 3
[2] International Agency for Research on Cancer (2017), Some organophosphate insecticides and herbicides, IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, Volume 112, France.
[3] Assessment Group on Glyphosate, Procedure and outcome of the draft Renewal Assessment Report on glyphosate, Juni 2021; https://ec.europa.eu/food/system/files/2021-06/pesticides_aas_agg_report_202106.pdf aufgerufen am 24.08.2021
[4] Background document to the opinion proposing harmonised classification and labelling (CLH) at EU level of glyphosate (ISO); N-(phosphonomethyl)glycine. CLH report. Proposal for Harmonised Classification and Labelling, March 2017, originally finalized in May 2016
[5] European Food Safety Authority (2021) The 2019 European Union Report on Pesticide Residues in Food. EFSA Journal 2021, 19(4), 6491
[6] www.pcs.agriculture.gov.ie/media/pesticides/content/foodsafety/PesticideResiduesInFood2016230118.pdf, aufgerufen am 24.08.2021
[7] U.S. Food and Drug Administration, Pesticide residue monitoring program fiscal year 2016, Pesticide Report
[8] Silva, V.; Montanarella, L.; Jones, A.; Fernandez-Ugalde, O.; Mol, H. G. J.; Ritsema, C. J.; Geissen, V. Distribution of glyphosate and aminomethylphosphonic acid (AMPA) in agricultural topsoils of the European Union. Sci. Total Environ. 2018, 621, 1352
[9] Final Addendum to the Renewal Assessment Report – public version, Risk assessment provided by the rapporteur Member State Germany and co-rapporteur Member State Slovakia for the active substance glyphosate, Oktober 2015
[10] Gillezeau, C; van Gerwen, M.; Shaffer, R.M:; Rana, I.; Zhang, L.; Sheppard, L.; Taioli, E. The evidence of human exposure to glyphosate: a review. Environ. Health 2019 18, 2, https://doi.org/10.1186/s12940-018-0435-5
[11] Assessment Group on Glyphosate, Procedure and outcome of the draft Renewal Assessment Report on glyphosate, Juni 2021; https://ec.europa.eu/food/system/files/2021-06/pesticides_aas_agg_report_202106.pdf aufgerufen am 24.08.2021
[12] Wolber, D. M., Warnecke-Busch, G., Köhler, L., Kregel, M., Radziewicz, M., Variabilität in der Wirkung von Glyphosat gegen Alopecurus myosuroides HUDS. (Acker-Fuchsschwanz) in Niedersachsen, 28. Deutsche Arbeitsbesprechung über Fragen der Unkrautbiologie und -bekämpfung, 2018 in Braunschweig; DOI 10.5073/jka.2018.458.037
Zum Weiterlesen
Autorin:
Prof. Dr. Carolin Huhn
Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
Webseite des Arbeitskreises
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