Chemie gegen Viren: Händewaschen oder Desinfektion
In der Reihe Fact Sheets veröffentlicht die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) allgemeinverständliche Informationen zu relevanten Themengebieten. Erstellt werden die Fact Sheets von dem Expertengremium "ChemFacts for Future", in dem sich Wissenschaftler*innen der GDCh aus verschiedenen Fachgebieten gemeinsam um relevante Themen kümmern.
Chemie gegen Viren: Händewaschen oder Desinfektion (Fact Sheet 2)
Fakten
Bei behüllten Viren wie dem Coronavirus Sars-CoV-2 ist das Virus von einer Lipidschicht (Fettschicht) umgeben. Die Zerstörung der Virushülle oder die Entfernung der Lipidkomponenten aus der Hülle verhindern, dass das behüllte Virus die Wirtszelle infizieren kann.
Seifen und flüssige Waschlotionen enthalten Tenside. Das sind Moleküle mit einem hydrophilen (= wasserliebenden) und einem hydrophoben (= Wasser meidenden und damit lipophilen = fettliebenden) Molekülteil. Im Wasser lagern sich die Tensidmoleküle zu Aggregaten (Mizellen) zusammen, so dass die hydrophoben Enden zur Mitte, die hydrophilen Köpfe nach außen zum Wasser zeigen. Zudem sind diese Moleküle grenzflächenaktiv. Sie reichern sich an der Wasseroberfläche an und sorgen beim Händewaschen dafür, dass die Haut überall gut benetzt wird. Die Tenside dringen in die Lipidhülle des Virus ein und brechen diese auf. Solche Virusfragmente sind nicht mehr infektiös und können in die Tensidmizellen eingelagert und abgewaschen werden. Auch Alkohole, die in „begrenzt viruziden“ Desinfektionsmittel enthalten sind (mind. 60%) können Fette (Lipide) lösen und so ebenfalls die Hülle der Viren zerstören. Zudem können Alkohole wichtige Proteine im Viruspartikel denaturieren und es so unschädlich machen.
Problem
Viren finden sich unter anderem auf den Händen und können bei Kontakt so auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Welche Möglichkeiten gibt es, behüllte Viren wie das Corona-Virus Sars-CoV-2 von den Händen zu inaktivieren, um eine Infektion zu verhindern?
Problemlösung
Gründliches Händewaschen für 20-30 Sekunden mit Wasser und Tensiden (aus Seifen, Waschlotionen, etc.) ist ein wirksames Mittel gegen behüllte Viren. So wird auch gleichzeitig anderer Schmutz von den Händen abgespült. Sind Wasser und Seife nicht verfügbar, sind Desinfektionsmittel auf Basis von Alkohol („begrenzt viruzid“) eine gute Alternative. Schmutz wird so zwar nicht heruntergewaschen, aber die Viren werden zerstört und sind nicht mehr infektiös.
Autor*innen:
Prof. Dr. Birgit Glüsen, Fakultät für Angew. Naturwissenschaften, Technische Hochschule Köln
Prof. Dr. Dirk Bockmühl, Arbeitsgruppe „Hygiene und Mikrobiologie, Hochschule Rhein-Waal
Das Fact Sheet Chemie gegen Viren: Händewaschen oder Desinfektion als pdf zum Ausdrucken.
Hier geht es zu einem Beitrag über Seife, wie man ihre reinigende Wirkung schon vor 6000 Jahren entdeckte und warum heutige Seifen nicht viel mit der ursprünglichen Seife zu tun haben.
Alle Fact Sheets
Nr. 12 (10. Mai 2022) Chemie und Endlagerung
Nr.11 (13. Oktober 2021) Die Geschmäcker sind verschieden – ein molekularer Blick auf Bier
Nr.10 (26. Juli 2021): Zitronensäure und Menthol: Natürlich, Synthetisch, Biotechnologisch!
Nr. 9 (23. Juni 2021): Wie kommt der Impfstoff in die Zelle?
Nr. 8 (26. März 2021): Insekten-Proteine: eine nachhaltige Ernährung!
Nr. 7 (23. März 2021): Biomasse: das „neue Rohöl"
Nr. 6 (4. Dezember 2020): Schwefelsäure – gefährlich aber unverzichtbar
Nr. 5 (12. August 2020): Ammoniumnitrat (AN)
Nr. 4 (1. Juli 2020): Brauchen wir Lebensmittelverpackungen?
Nr. 3 (22. Juni 2020): Klimawandel: Kleine Moleküle – große Wirkung
Nr. 2 (11. Mai 2020): Chemie gegen Viren: Händewaschen oder Desinfektion
Nr. 1 (28. April 2020): Chemie gegen Viren: Antivirale Wirkstoffe
Über das Gremium "ChemFacts for Future"
Die bedeutendsten Probleme, mit denen unser Planet und die meisten seiner Bewohner*innen derzeit konfrontiert werden, sind anthropogener Natur. Es ist daher auch die Aufgabe der Menschen, die Probleme zu erkennen und sie effizient zu lösen. Effizient bedeutet zeitnah und problemorientiert – jenseits von politischen und (rein) ökonomischen Interessen.
Ein Großteil der Probleme kann (nur) unter Heranziehen chemischer Fachkenntnis sinnvoll bearbeitet werden. Die Herstellung und Verbreitung sachlich falscher Zusammenhänge, die zum Teil als Grundlage für politische Entscheidungen – und Fehlentscheidungen – herangezogen werden, sind für Naturwissenschaftler generell und uns Chemiker*innen im Speziellen daher besonders beunruhigend.
Besonders der chemische Aspekt in Problemfeldern wie CO2-Emission und CO2-Bindung, Luftschadstoffbelastung oder Mikroplastikverbreitung führt dazu, dass wir uns als Chemiker*innen in der Pflicht sehen, belastbare, nicht von Lobbyismus getriebene Fakten zusammenzutragen und diese zu veröffentlichen. Wir sehen es auch als unsere Aufgabe an, in Kooperation mit Experten angrenzender Disziplinen (Medizin, Biologie, Physik) wissenschaftlich sinnvolle und ökonomisch wie ökologisch umsetzbare Lösungsvorschläge zu entwerfen und diese zu publizieren.
Wir möchten uns als ein Gremium verstanden wissen, welches das Expertenwissen der Spitzenforscher*innen in den relevanten Themengebieten zusammenführt und es sowohl für die wissenschaftliche Community als auch die breite Öffentlichkeit auf verschiedenen Kanälen verfügbar macht.
Dem Gründungsstab gehören neben dem Präsidenten der GDCh zunächst Vorsitzende verschiedener Fachgruppen und Arbeitsgruppen der GDCh an, die im nächsten Schritt Expertinnen und Experten benennen, die das Team der Verantwortlichen ergänzen werden. Mitglieder des Gremiums.
In der Reihe Fact Sheets veröffentlicht die Gesellschaft Deutscher
Chemiker allgemeinverständliche Informationen zu relevanten Themengebieten. Erstellt werden die Fact Sheets von dem Expertengremium ChemFacts for Future (s. unten), in dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der GDCh aus verschiedenen Fachgebieten gemeinsam um relevante Themen kümmern.
Kommentare
John
am 11.05.2020kjs (Redaktion)
am 12.05.2020kjs (Redaktion)
am 13.05.2020Oberflächen oder auch Textilien können mit Nanosilber, kolloidalem Silber oder Silberverbindungen beaufschlagt werden, die Silberionen abgeben und so ein Überleben von Bakterien und eingeschränkt auch Viren auf diesen Oberflächen verhindern.
Silber und bestimmte andere Metallionen wirken antimikrobiell, indem sie mit Proteinen der Mikroorganismen wechselwirken. Das betrifft vor allem mikrobielle Enzyme, die etwa beim Energiestoffwechsel benötigt werden. Da Viren keinen eigenen Stoffwechsel haben, sind Silberionen gegen diese in der Regel deutlich weniger wirksam als gegen Bakterien. Eine gewisse viruzide Wirkung kann allerdings beispielsweise durch Interaktion mit viralen Oberflächenproteinen erzielt werden.
Dr, Bruno Kolb
am 20.05.2020kjs (Redaktion)
am 22.05.2020Damit wäre eine Impfung für alle sinnvoll, die noch keine Antikörper haben. Dann wären sie geschützt, wenn sie mit einem Virusträger in Kontakt kommen, egal, ob dieser selbst Beschwerden hat oder nicht.
Georg Canzler
am 01.02.2022Und wie sieht das ganze mit anderen Desinfektionsmitteln aus wie z. B. Chlorverbindungen, die aufgrund ihrer Elektronegativität als Oxidationsmittel in der Lage sind, die Virusmembran zu schädigen!?
kjs (Redaktion)
am 02.02.2022kjs (Redaktion)
am 02.02.2022Die gängige Vorstellung ist, dass Alkohole eher essentielle mikrobielle Proteine durch Fällung inaktivieren. Bei behüllten Viren sind dies in der Tat die membranassoziierten Proteine und bei nicht behüllten Viren die Proteine des Capsids; bei Bakterien ist es aber auch notwendig, dass Alkohol über die Membran geht und Proteine im Zellinneren denaturiert.
Die "Auflösung" der viralen Membranhülle geschieht lt. Kramer et al. (vgl. Kapitel 40 und 45, Wallhäußers Praxis der Sterilisation, Desinfektion, Antiseptik und Konservierung. Thieme Verlag, 2008) auch eher durch Denaturierung der Transmembranproteine, die Transportmechanismen über die Membran steuern. Die Zerstörung der Proteingele vergrößert den Kanal und erhöht den Durchfluss von Alkoholen.
Auch bei Oxidantien wird die antimikrobielle Wirkung an der Zellaußenseite vermutlich vor allem über die Oxidation von Membranproteinen vermittelt, daneben aber wohl auch über die Reaktion mit den Doppelbindungen ungesättigter Fettsäuren.
Rudolf Walter
am 10.09.2023kjs (Redaktion)
am 11.09.2023