125. Jahrestag: Als Heroin noch ein „heroisches“ Arzneimittel war
Für Felix Hoffmann, Chemiker in einem Labor der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co, war der August 1897 in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Am 10. August gelang ihm zunächst die labortechnische, chemisch reine Synthese von Acetylsalicylsäure, dem bis heute bekanntesten Schmerzmittel der Welt, dem Aspirin.
Nur wenige Tage später, genauer am 21. August 1897, erzielte Hoffmann mit dem gleichen Reaktionsprinzip noch einen weiteren spektakulären Erfolg: Bei der Acetylierung von Morphin (Abb. 1) mit Essigsäureanhydrid (wasserfreier Essigsäure) erhielt er ein „heroisches“ Molekül, das ebenfalls als Schmerzmittel von Bayer produziert wurde – Diacetylmorphin (C21H23NO5), besser bekannt als Heroin (Abb. 2).
Während Aspirin nicht nur als Schmerzmittel, sondern auch als Blutverdünnungsmittel zur Herzinfarktprophylaxe bis heute große Erfolge feiert, wanderte das „heroische“ Molekül aus guten Gründen in den Giftschrank. Heroin – einst gestartet als hoffnungsvolles Schmerz- und Hustenmittel und als Alternative und Entzugsdroge zum Opium [1] – ist längst auf die dunkle Seite der Chemie gewechselt und hat als Droge nicht nur zahlreiche Menschen süchtig gemacht.
Eine Überdosis hat schon vielen Menschen, auch Berühmtheiten aus der Popkultur, das Leben gekostet. Am berüchtigten „goldenen“ Schuss starben beispielsweise die Musiker Janis Joplin und Jim Morrison oder der Oscar-Preisträger und Hollywoodstar Philip Seymour Hoffmann.In Deutschland wurde Heroin übrigens erst im April 1971 verboten und damit zur illegalen Droge.
Von Morphin zu Heroin
All das konnte Felix Hoffmann (Abb. 3) natürlich nicht ahnen, als ihm die Synthese von Diacetylmorphin gelang (Abb. 4). Grundlage waren Experimente mit Opiaten des Rohopiums, dem Milchsaft des Schlafmohns. Diese enthalten Morphin, Codein und Thebain als Opiate. Beim Morphin bzw. Morphium erhielt Hoffmann durch die Einführung zweier Acetylgruppen ein weißes, kristallines Pulver, das die Wirkung des Morphins um ein Vielfaches übertreffen sollte. Die einschläfernde Wirkung von Morphin wurde schon um 1803 vom Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner entdeckt. 1818 wurde der Wirkstoff erstmals in ein amtliches Arzneibuch aufgenommen und etablierte sich in den folgenden Jahren als Arzneimittel gegen verschiedenste Leiden, wie z.B. Neuralgien, Augenleiden oder Keuchhusten [2]. Doch schon damals wurde das Suchtpotential von Morphin thematisiert, etwa durch Überdosierungen und den damit verbundenen unerwünschten Symptomen, so dass nach Ersatzstoffen gesucht wurde, 1886 war mit dem Opiat Codein zunächst eine Alternative gefunden, bis schließlich 1897 Heroin synthetisiert wurde.
Kleine Veränderung – große Wirkung
Die Synthese von Heroin hatte dabei eine Bayer-interne Vorgeschichte. Unterlagen des Bayer-Archivs ist zu entnehmen, dass 1897 Prof. Dr. Heinrich Dreser die Leitung des Pharmakologischen Instituts der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. (FFB) am Standort Elberfeld übernommen hatte [2]. In seiner früheren Funktion als außerordentlicher Professor in Göttingen hatte er bereits die Wirkung des Opiumalkaloids Codein auf die Atemwirkung untersucht. Er wollte einen Ersatzstoff für Codein bzw. Morphin finden, der die Atemfunktion lungenkranker Patienten nebenwirkungsfrei verbessern sollte. Tuberkulose und andere chronische Lungenerkrankungen waren in dieser Zeit weit verbreitet.
Felix Hoffmann sollte sich der Sache annehmen und konzentrierte sich auf das Molekül Diacetylmorphin. Diese morphinähnliche Substanz wurde bereits 1874 vom englischen Chemiker Charles R. A. Wright (1844-1894) synthetisiert, er berichtete darüber im „Journal of the Chemical Society“ [3]. Daraus hatte sich jedoch keine Verwendung in der Medizin ergeben. Hoffmann nutzte die Acetylierung als eine Möglichkeit zur chemischen Veränderung von Molekülen und so gelang ihm nur elf Tage nach der Synthese von Aspirin die Herstellung des Diacetylmorphins (Heroin) als gesuchten Ersatzstoff für Codein.
Durch Acetylierung tauschte er die beiden Hydroxy-Gruppen (OH) des Morphins durch zwei Acetyl-Gruppen (CO2-CH3) aus. Diese kleine chemische Veränderung reichte aus, um Heroin chemisch rein zu synthetisieren. Nach erfolgreicher Herstellung unterzog Heinrich Dreser den neuen Wirkstoff im Tierexperiment einer ersten klinischen Prüfung. Dabei zeigte sich, dass Heroin von Kaninchen verträglicher aufgenommen wurde als etwa Codein [4].
„Ein außerordentlich brauchbares (…) Mittel zur Bekämpfung des Hustens“
Ein Jahr später folgten erste Versuche in der werkseigenen Poliklinik. Ab März 1898 probierte der damalige Bayer-Werksarzt Dr. Theobald Floret das Mittel an rund 60 seiner Patienten aus. Diacetylmorphin zeigte nachzeitgenössischer Bewertung einen positiven Effekt auf die Verringerung des Hustenreizes, ermöglichte ein leichteres Abhusten und wirkte sich vorteilhaft auf die Intensität der Atmung aus.
In den „Therapeutischen Monatsheften“ berichtete Dreser 1898 über die klinischen Wirkungen von Heroin [5] und ließ dabei auch Theobald Floret zu Wort kommen (Abb. 5.): „Das seit etwa 1/2 Jahre in der Poliklinik der Farbenfabriken zu Elberfeld von mir verordnete Heroin … zeigte sich als ein außerordentlich brauchbares, prompt und zuverlässig wirkendes Mittel zur Bekämpfung des Hustens und Hustenreizes sowie des Brustschmerzes in erster Linie bei Entzündungen besonders bei den katarrhalischen der oberen und unteren Luftwege (Angina, Pharyngitis, Tracheitis, Bronchitis) sowohl bei den acuten als auch mehr chronischen Formen. Etwa 60 von mir mit dem Präparat behandelte Patienten dieser Art gaben mir übereinstimmend an, dass sie nach dem Einnehmen des Pulvers (Heroin) eine sofortige Besserung des sie quälenden Hustens empfunden hätten, dass die Brustschmerzen und das Seitenstechen – wenn solche Beschwerden bestanden – nachgelassen hätten.“ [6].
Einige Bayer-Mitarbeiter sollen sich nach der Einnahme gar „heroisch“ gefühlt haben, was letztlich auch zur Namensgebung Heroin geführt haben soll. Am 27. Juni 1898 ließ sich Bayer den Markennamen „Heroin“ schützen (Nummer 31650 beim Reichspatentamt) [7]. Ein deutsches Patent auf den Wirkstoff wurde Bayer – ähnlich wie schon bei der Acetylsalicylsäure – hingegen vom Patentamt verweigert, da Diacetylmorphin bereits bekannt war.
Erfolgreiche Jahre als Medikament
Das neue Medikament kam noch im selben Jahr als „Heroinum purum“ in Pulverform zu je 1 Gramm, 5 Gramm, 10 Gramm oder 25 Gramm auf den Markt. Ein Jahr später folgte „Heroinum hydrochloricum“ (Abb 6.a und 6.b). Die Arznei gab es zur oralen Einnahme als Saft oder Sirup, als Zäpfchen und sogar als heroingetränkte Tampons zur Anwendung bei Unterleibsschmerzen bei Frauen [2].
Das Ende: Einstellung der Produktion 1940
Autor und Redaktion danken dem Bayer-Archiv für die Zurverfügungstellung von historischem Bild- und Informationsmaterial.
Quellen
[1] Drogen: Heroin - Rauschmittel - Gesellschaft - Planet Wissen (planet-wissen.de)
[2] Heritage Communications (Bayer Archiv), 2021-07-07
[3] C. R. A. Wright : On the action of organic acids and their anhydrides on the natural alkaloïds. Part I. In: J. Chem. Soc. 27, 1031–1043 (1874) doi:10.1039/JS8742701031. - Kurzbericht vom 14. November 1874 in Ber. d. Dt. Chem. Ges. 7, 1550 (1874). - Chemisches Zentralblatt S. 36
[4] Kölner Stadt-Anzeiger: Bayer: Geschichte des Heroins: Vor 120 Jahren entwickelte Bayer eine verhängnisvolle Medizin
[5] H. Dreser: Therapeutische Monatshefte, 12, 1898, S. 509–512 Pharmakologisches über einige Morphinderivate
[6] Floret: Klinische Versuche über die Wirkung und Anwendung des Heroins. In:Therapeutische Monatshefte. 12, 1898, S. 512 (s. Abb. 5)
[7] Wort-Bildmarke „Heroin“ vom 18. Mai 1898 mit Eintragung am 27. Juni 1898 in das „Waarenverzeichniß“ unter der Nr. 31650 (altes Aktenz. F 2456) für die „Actiengesellschaft Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld.“ Veröffentlicht im „Waarenzeichenblatt“, herausgegeben vom kaiserlichen Patentamt, im Juli 1898, V. Jahrgang, Heft 7 auf Seite 506.
[8] DocCheck Flexikon: Heroin
[9] „100 Jahre Pharmakologie bei Bayer 1890 -1990“ - Geschichte des Instituts für Pharmakologie in Wuppertal-Elberfeld, Univ.-Prof. Dr. MED. Hans Schadewaldt Dr. MED. Frank-Joachim Morich (Bayer-Archiv)
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