Streitpunkt PFAS-Verbot – Pro und Contra 

 

Viel wird im Moment über PFAS (Per- and Polyfluorierte Alkyl-Substanzen) geredet. Denn es wird ein mögliches Verbot von PFAS in der Europäischen Union diskutiert. Im September-Heft der Nachrichten aus der Chemie diskutieren zwei Expert:innen über ein Verbot von PFAS.

„Pro und Contra“ wird von der GDCh-Fachgruppe Seniorexperten Chemie betreut, Dieter Kunz und Helmut Ritter koordinieren die Beiträge.

Pro: PFAS im Regenwasser in Tibet, im Fettgewebe von Eisbären

Ohne eine Beschränkung der Stoffklasse der PFAS können die steigenden Konzentrationen in Mensch und Umwelt zu weitreichenden Schäden führen.

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, PFAS, sind Ewigkeits­chemikalien. Sie sind entweder selbst persistent oder werden in der Umwelt zu anderen persistenten PFAS abgebaut, zum Beispiel zu Perfluorcarbonsäuren. Sind sie einmal in der Umwelt, verbleiben sie dort sehr lange, sodass ihre Konzentrationen bei kontinuierlicher Emission immer weiter steigen. PFAS werden in der EU in großen Mengen hergestellt, importiert und in vielen verschiedenen Anwendungen und Industriezweigen verwendet, zum Beispiel in Schläuchen, Schmierstoffen und als Kältemittel. Am Ende ihres Lebenszyklus werden PFAS-haltige Produkte in der Regel verbrannt. Dies führt ebenso zu Emissionen in die Umwelt wie ihre Herstellung und Verwendung. Für viele Sektoren ist zudem in den kommenden Jahren ein starkes Marktwachstum zu erwarten.

Die meisten persistenten PFAS sind entweder mobil in Wasser oder bioakkumulierend. Mobile PFAS verteilen sich in der Umwelt schnell und über weite Strecken über das Wassersystem, reichern sich in Pflanzen an und können ins Trinkwasser gelangen. Bioakkumulierbare PFAS reichern sich vor allem im Fettgewebe von Lebewesen an und gelangen so bis an die Spitze der Nahrungskette. Monitoringdaten zeigen bereits heute PFAS in Regionen fernab jeglicher Expositionsquelle, beispielsweise im Regenwasser in Tibet oder im Fettgewebe von Eisbären. Aus Humanbiomonitoring-Daten, wie Untersuchungen an menschlichem Blut, geht hervor, dass auch Menschen mit PFAS belastet sind. Zum Beispiel über das Trinkwasser oder Nahrungsmittel wie Getreide oder Fisch. Sowohl bei Menschen als auch bei Tieren werden PFAS über die Plazenta auf den Fötus und über die Muttermilch auf die Nachkommen übertragen.

Auswirkungen auf den Menschen sind zum Beispiel erhöhtes Hodenkrebsrisiko bei Männern und verminderte Fruchtbarkeit bei Frauen. Außerdem wurde bei übermäßiger Exposition eine verringerte Immunantwort und eine schlechtere Wirkung von Impfungen festgestellt. Weitere, bisher unbekannte Wirkungen auf Mensch und Umwelt, können ebenso vorhanden sein, auch solche, die mit den bisherigen Standardtests nicht nachweisbar sind. Angesichts der großen Zahl von PFAS gibt es bei vielen keine oder nur begrenzte Informationen zu ihren schädlichen Wirkungen.

Bisher gibt es in der EU lediglich Regelungen für wenige, bereits gut untersuchte PFAS. Dazu gehören die Regeln für Perfluoroktansäure (PFOA) in der POP-Verordnung und die Beschränkung weiterer Per­fluor­carbon­säuren (9 bis 14 Kohlenstoff­atome) unter der EU-Chemikalienverordnung Reach. Aufgrund der Vielfalt an PFAS vermeidet oder vermindert eine Beschränkung einzelner Verbindungen nicht zwangsläufig das Risiko, da diese relativ leicht durch andere PFAS mit ähnlichen Eigenschaften ersetzbar sind (regrettable substitution). Daher ist ein Gruppenansatz zielführend, der alle PFAS zugleich adressiert.

Einen entsprechenden umfassenden Beschränkungsvorschlag mit spezifischen, zeitlich befristeten Ausnahmen haben Anfang des Jahres fünf europäischen Mitgliedstaaten vorgelegt. Hierbei handelt es sich um den bislang breitesten Beschränkungsvorschlag seit Inkrafttreten der Reach-Verordnung. Der Vorschlag hat das Potenzial, die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten drastisch zu reduzieren, langfristig negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu minimieren, und berücksichtigt durch zeitlich befristete Ausnahmen, dass für bestimmte Verwendungen noch Alternativen entwickelt werden müssen.

Lorena Herkert arbeitet seit dem Jahr 2021 bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Dort befasst sie sich mit Risikomanagementmaßnahmen unter Reach und koordiniert das Beschränkungsverfahren der PFAS von deutscher Seite mit. Sie hat an der Universität Münster in organischer Chemie promoviert.

Contra: Für viele Anwendungen gibt es keine Alternativen

Mehrere EU-Staaten haben vorgeschlagen, PFAS zu verbieten. Dabei ist eine differenzierte Vorgehensweise erforderlich.

Der derzeit diskutierte Vorschlag zur Beschränkung der Herstellung, des Inverkehrbringens und der Verwendung per- und polyfluorierter Alkylsubstanzen (PFAS) ist sehr breit gefasst. Eine große Zahl an Stoffen mit unterschiedlichen chemischen und toxikologischen Eigenschaften soll innerhalb eines Verfahrens reguliert werden. Das bei der Europäischen Chemikalienagentur (Echa) eingereichte Beschränkungsdossier ist das umfangreichste Regulierungsvorhaben seit Inkrafttreten der Reach-Verordnung.

Mit dem vorliegenden Vorschlag entsteht ein Präzedenzfall, bei dem viele unterschiedliche Stoffe und deren Verwendung pauschal und ohne Bewertung des spezifischen Risikos in Herstellung oder Anwendung verboten werden sollen. Der Beschränkungsvorschlag ist somit nicht risikobasiert und entspricht daher auch nicht den Anforderungen der ­Reach-­Ver­ord­nung. Diese sieht vor, dass Beschränkungen dann erlassen werden können, wenn ein „unannehmbares Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt vorliegt“. Außerdem muss die Bewertung von Substanzen stoffbezogen erfolgen.

Die Industrie unterstützt uneingeschränkt das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien, den Schutz der Menschen und der Umwelt vor Risiken durch Chemikalien zu verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie zu erhöhen. Im Rahmen einer nachhaltigen Chemikalienregulierung sollten die Stoffe, von denen aufgrund ihrer Eigenschaften und ihres Verwendungsprofils unannehmbare Risiken ausgehen, auf Basis wissenschaftlicher Bewertungen reguliert werden. Die breite Regulierung ganzer Stoffgruppen, unabhängig vom tatsächlichen Risiko der einzelnen Substanzen, ist aus Sicht der Industrie nicht angemessen.

PFAS kommen in nahezu allen Branchen in Produkten und Herstellungsprozessen zum Einsatz, wenn extreme Umgebungsbedingungen, wie sehr hohe oder niedrige Temperaturen und hoher oder niedriger Druck oder saure, alkalische oder oxidierende Eigenschaften von Chemikalien, dies erfordern. Außerdem werden sie immer dann verwendet, wenn Reibungswiderstände verringert werden müssen oder besonders hohe Anforderungen an die Reinheit von Produktionsmedien oder an die Dichtheit der Anlagen zu erfüllen sind. PFAS sind daher relevant für Hochtechnologie-Anwendungen im Gesundheitswesen (zum Beispiel minimalinvasive Chirurgie, persönliche Schutzausrüstung), bei Energieerzeugung und -speicherung (zum Beispiel Elektrolyseure, Lithiumionenbatterien, Windräder, Wärmepumpen, Brennstoffzellen) und Digitalisierung (Halbleiter). Zudem werden Fluorpolymere in Industrieanlagen verwendet. Diese enthalten hochstandardisierte Bauteile aus Fluorpolymeren, darunter Dichtungen, Ventile, Kolonnen, Pumpen, Kompressoren. Ein Verlust dieser Komponenten hätte erheblichen negativen Einfluss auf die Lebensdauer, Funktionsfähigkeit und Sicherheit der Industrieanlagen.

Die Industrie versucht, wo immer möglich, PFAS zu substituieren. Für viele Anwendungen gibt es derzeit jedoch keine technisch geeigneten und verfügbaren Alternativen, sodass Industrie und Gesellschaft auch weiterhin auf PFAS angewiesen sind. Ein umfassendes Verbot von PFAS wirkte sich daher auf die gesamte Industrie und deren Innovationsfähigkeit aus sowie unter anderem auf die Versorgung mit Medizinprodukten. Für eine Regulierung dieser Substanzen ist daher eine differenzierte Vorgehensweise geboten. Es ist dringend zu berücksichtigen, ob eine PFAS-Substanz oder deren Verwendung ein nicht beherrschbares Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit bedeutet und ob geeignete Alternativen existieren.

Thomas Holtmann ist seit dem Jahr 2008 Abteilungsleiter Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit beim Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI, in Berlin. Dort arbeitet der Maschinenbauingenieur seit dem Jahr 1999.

Eine allgemeinverständliche Einführung in das Thema PFAS finden Sie in der Rubrik Wissen und Fakten.

Der Originalbeitrag wurde veröffentlicht in den Nachrichten aus der Chemie (Nachr. Chem.), Heft 09/2023 (Herausgeber: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., Verleger: Wiley-VCH-Verlag  GmbH Co KGaA, Weinheim) https://www.gdch.de/publikationen/nachrichten-aus-der-chemie.html

Titelbild: ag visuell/stock.adobe

Beitrag zusammengestellt von Karin J. Schmitz (Redaktion Faszination Chemie)

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