Nichts währt ewig – auch nicht die Ewigkeitschemikalien PFAS

 

Es könnte ein Vorschlag mit weitreichenden Folgen für die chemische Industrie und uns als Verbraucherinnen und Verbraucher werden. Denn es wird ein mögliches Verbot von PFAS – speziellen per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen – in der Europäischen Union diskutiert.

Was sind PFAS?

PFAS, die Abkürzung von Per- and Polyfluorierte Alkyl-Substanzen, sind eine Gruppe von Industriechemikalien, die mehrere tausend Substanzen umfasst. Mit diesen Stoffen haben wir im Alltag mehr zu tun, als die meisten von uns denken. Sie werden oft auch als per- und polyfluorierte Chemikalien bezeichnet, auch der Begriff per- und polyfluorierte Carbonsäuren (PFC) bezeichnet Verbindungen, die zu den PFAS gehören. Einige Beispiele von Chemikalien, die in diese Gruppe gehören, sind in Abb. 1. dargestellt.

Europäische Behörden, unter ihnen das Umweltbundesamt, haben bereits Anfang 2023 einen gemeinsamen Vorschlag zur Beschränkung von PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht [1]. Im März begannen auf europäischer Ebene öffentliche mehrmonatige Konsultationen. Nach Ablauf einer Frist am 25. September will die ECHA ein mögliches Verbot beurteilen, entscheiden wird die EU-Kommission mit den Mitgliedsstaaten.

Sie müssen dabei über eine sehr umfangreiche Substanzklasse entscheiden, denn die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat 2021 per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen neu definiert: Zu den PFAS gehören fluorierte Stoffe, die mindestens ein fluoriertes Methyl- oder Methylen-Kohlenstoffatom enthalten, somit ist mit wenigen Ausnahmen quasi jede Chemikalie mit mindestens einer perfluorierten Methylgruppe –CF3 oder einer perfluorierten Methylengruppe –CF2– ein  PFAS [2].

Aber warum könnte uns dieses Verbot treffen? Wir Verbraucher verwenden diese Substanzen täglich, ohne davon groß Notiz zu nehmen. Da PFAS thermisch und chemisch stabil sind und zudem auch noch wasser-, fett- und schmutzabweisende Superkräfte haben, findet man sie überall: als Beschichtungsmaterial in Funktionsjacken, Zeltplanen, Regenschirmen, Pizzakartons und Backpapier. Shampoos und Cremes, Schmierstoffe, Teppiche oder Skiwachse gehören ebenfalls dazu. In der Industrie finden sie Verwendung als Lösch- und Netzmittel, in der Landwirtschaft in Pflanzenschutzmitteln. Von einem möglichen PFAS-Verbot betroffen wären zudem medizinische Produkte wie Katheter und selbst die Teflon-Pfanne würde dann der Vergangenheit angehören.

PFAS sind umweltschädlich

Warum aber sollen diese Wunderchemikalien jetzt verboten werden? PFAS sind nachweislich umweltschädlich und reichern sich in Nahrungsketten an. Mittlerweile lassen sich Spuren von PFAS auch da nachweisen, wo sie nicht hingehören: im Boden, in Flüssen und im Grundwasser, in Lebensmitteln und im Trinkwasser. So gelangen die schädlichen Stoffe letztlich auch wieder bei uns im Organismus und konnten schon im Blutserum von Menschen nachgewiesen werden. Wegen ihrer chemischen Stabilität ist die Beseitigung dieser auch als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichneten Substanzen zudem sehr aufwändig.

Auf viel Gegenliebe in der Industrie stößt das mögliche Verbot naturgemäß nicht. So plädieren beispielsweise die Chemieverbände Rheinland-Pfalz für eine „differenzierte Betrachtung“ dieser riesigen Stoffgruppe an Chemikalien. Die Stoffe würden in der chemischen Industrie dringend benötigt, sagte Hauptgeschäftsführer Bernd Vogler und warnte: „Ein pauschales Verbot der über 10.000 Substanzen, wie es die EU derzeit plane, hätte massive Auswirkungen auf die Unternehmen und die Innovationsfähigkeit der Industrie in Europa.“ [3] Viele Branchen haben in den vergangenen Jahren PFAS bereits durch andere Substanzen ersetzt. Bei Technologien wie der Herstellung von Brennstoffzellen, Halbleitern oder Lithium-Ionen-Batterien ist die Industrie nach aktuellem Erkenntnisstand aber noch auf PFAS angewiesen [4].

Auch FCKW galten als Wunderchemikalien

Wieder einmal rückt damit eine chemische Produktgruppe in den Fokus, die eigentlich aufgrund ihrer besonderen Kombination von sehr praktischen Eigenschaften vielfach Verwendung findet. Auch die einst als harmlos eingestuften ungiftigen, nicht-brennbaren, chemisch inerten und wärmedämmenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) wurden bis in die 1970er Jahre in großen Mengen als Schäummittel für Kunststoffe, als Kältemittel für Kühlschränke oder Treibgase in Spraydosen verwendet und gelangten so in die Atmosphäre. Alles schien gut, bis Forscher einen Zusammenhang zwischen den gasförmigen FCKW in der Atmosphäre und dem Entstehen des Ozonlochs fanden. Denn durch harte UV-Strahlung spalten die FCKW Chlor ab, und das wiederum greift das Ozon der Ozonschicht an.

Für diese Erkenntnisse bekamen die Chemiker Mario Molina, Paul Crutzen und Frank Sherwood Rowland 1995 nicht nur den Chemie-Nobelpreis, sie trugen mit ihren bahnbrechenden Forschungen auch zum nachhaltigen Verbot der FCKW bei (Montreal-Abkommen 1987). Ähnliches könnte jetzt auch den PFAS bevorstehen. Mit einem Verbot seitens der EU wird jedoch frühestens im Jahr 2025 gerechnet.

Während verschiedene Interessengruppen intensiv über ein Verbot und die Folgen des Verbots diskutieren, kümmern sich Forschergruppen bereits um Lösungen, etwa wie man beispielsweise Abwasser von PFAS befreien kann. Verfahren zur Boden- und Grundwasserreinigung sowie zur Trinkwasseraufbereitung sind schwierig, denn diese Substanzen lassen sich aus Wasser und Boden nur schwer wieder entfernen. Damit sich diese Verbindungen überhaupt zersetzen, sind sehr hohe Temperaturen erforderlich. Grund ist die extrem stabile Verbindung zwischen den Kohlenstoff- und den Fluoratomen im Molekül.

Mit Plasma könnten PFAS geknackt werden

Eine Möglichkeit ist der Einsatz von Plasma.Unter einem Plasma versteht man in der Physik ein sehr reaktives Teilchengemisch aus Ionen, freien Elektronen und meist auch neutralen Atomen oder Molekülen. Eine wichtige Eigenschaft eines Plasmas ist seine elektrische Leitfähigkeit.

Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik haben eine neue Filtertechnik für kontaminiertes Wasser entwickelt, die selbst toxische PFAS vollständig entfernt [5]. Das Verbundprojekt Atwaplas (steht für Atmosphären-Wasserplasma-Behandlung) wird derzeit am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB gemeinsam mit dem Industriepartner „HYDR.O. – Geologen und Ingenieure“ aus Aachen vorangetrieben. Ziel ist die Aufbereitung und Rückgewinnung PFAS-belasteter Wässer mittels Plasma-Behandlung.

Das Forscherteam um Dr. Georg Umlauf, Experte für funktionale Oberflächen und Materialien, macht sich dabei die Fähigkeit von Plasma zu Nutze, die Molekülketten von Substanzen anzugreifen. Erzeugt wird das elektrisch leitfähige Gas aus Elektronen und Ionen durch Anlegen von Hochspannung. „In unseren Versuchen mit Plasma ist es gelungen, die Molekülketten von PFAS im Wasser zu verkürzen. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer effizienten Beseitigung dieser hartnäckigen Schadstoffe“, sagt der Experte.

Im Reinigungsprozess wird das mit PFAS kontaminierte Wasser am Boden eines Stahltanks eingeleitet und nach oben gepumpt (Abb. 1). Im Spalt zwischen den Elektroden fließt es nach unten und durchquert dabei die elektrisch aktive Plasma-Atmosphäre. Beim Entladen bricht das Plasma die PFAS-Molekülketten auf und verkürzt sie. Dieser Vorgang wird in einem geschlossenen Kreislauf mehrfach durchgeführt bis zu einer vollständigen und rückstandsfreien Zerstörung der schädlichen Substanzen.

PFAS sollten durch fluorfreie Substanzen ersetzt werden

Mit den Auswirkungen von PFAS hat sich auch Prof. Dr. Hubertus Brunn von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), Fachbereich Lebensmittel- und Umwelttoxikologie, mit fünf Coautoren in einem Review beschäftigt [6]. „Von einigen PFAS ist bekannt, dass sie bei schon bei niedrigen Konzentrationen chronisch toxisch wirken können, zum Beispiel schädigen sie das Immunsystem und die Funktion der Schilddrüse“, sagt Brunn in einer Pressemeldung der JLU [7]. „Außerdem fördern sie die Entstehung von Krebs beim Menschen.“ Der Mensch als letztes Glied in zahlreichen Nahrungsketten ist der Aufnahme von PFAS vor allem über die Nahrung und das Trinkwasser ausgesetzt. Kritisch sieht Brunn den Umstieg von Herstellern von langkettigen auf kurzkettige PFAS. Denn auch kurzkettige PFAS werden zunehmend in Lebensmitteln, im menschlichen Blut und in der Umwelt nachgewiesen. „Die Substitution einzelner als gefährlich eingestufter PFAS durch andere möglicherweise ebenso gefährliche PFAS mit praktisch unbekannter chronischer Toxizität kann daher keine Lösung sein“, so Brunn. „Die einzige Antwort ist die Umstellung auf fluorfreie Alternativen für alle Anwendungen, bei denen PFAS nicht unbedingt erforderlich sind.“

Herausfordernd ist das PFAS-Thema auch für die Analytik: Da einige dieser Substanzen bereits in sehr geringen Konzentrationen schädliche biologische Wirkungen zeigen, steht die chemische Analytik vor der Aufgabe, Methoden für einen sehr empfindlichen Nachweis möglichst vieler PFAS zu entwickeln.

Beim Thema PFAS sind also noch viele Fragen offen. Es bleibt daher abzuwarten, wann und ob ein Verbot umgesetzt werden wird und welche Konsequenzen dieses Verbot auf verschiedenen Ebenen langfristig haben wird.

Statistik: Wie PFAS in Deutschland gefunden werden und wie sie sich auf den Menschen auswirken

An vielen Orten in ganz Deutschland lässt sich eine hohe Belastung von PFAS nachweisen. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ gibt es in Deutschland mehr als 1500 kontaminierte Orte. Wie die Grafik unten, die in Zusammenarbeit von Statista und MIT Technology Review erstellt wurde, zeigt, weisen die Gewässer der meisten Großstädte hierzulande eine deutliche PFAS-Belastung auf Abb. 4.). So wurden zum Beispiel in der Spree in Berlin mehr als 8000 ng pro Liter gemessen. [8]

Dr. Jörg Wetterau

Labor für Kommunikation, Linsengericht

Quellen

[1] ECHA publishes PFAS restriction proposal (CHEManager: ECHA veröffentlicht Vorschlag für PFAS-Verbot)
[2] Z. Wang et al.: A New OECD Definition for Per- and Polyfluoroalkyl Substances (Environmental Science & Technology) https://doi.org/10.1021/acs.est.1c06896
[3] Langlebig und umstritten: Umgang mit PFAS in Rheinland-Pfalz
[4] Umweltschutz in neuer Dimension: Riesiger Substanzgruppe droht Verbot
[5] Pressemitteilung Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) Plasma gegen toxische PFAS-Chemikalien - Fraunhofer IGB
[6] Brunn, H., Arnold, G., Körner, W. et al.: PFAS: forever chemicals – persistent, bioaccumulative and mobile. Reviewing the status and the need for their phase out and remediation of contaminated sites. Environ Sci Eur 35, 20 (2023) https://doi.org/10.1186/s12302-023-00730-7 
[7] Pressemitteilung Univ. Gießen: Ewige Chemikalien: praktisch, aber giftig – Die langlebige und toxische Substanzgruppe der PFAS sollte durch fluorfreie Alternativen ersetzt werden
[8] Statistik der Woche: Wie sich PFAS auf den Menschen auswirken (heise online) https://www.heise.de/hintergrund/Statistik-der-Woche-Wie-sich-PFAS-auf-den-Menschen-auswirken-9055179.html

Titelbild: ag visuell/stock.adobe

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Kommentare

  • Sönke Kroner
    am 27.06.2023
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    welche Kosten entstehen und welcher Energieverbrauch ist bei der Beseitigung der PFAS mit einem Plasmareaktor zu erwarten?
    Wie kann die Industrie sicherstellen, dass keine PFAS z.B. durch Nutzung der PFAS-Produkte in die Umwelt gelangen?
    Wenn PFAS in die Umwelt gelangen, wie kann die Industrie diese daraus wieder entfernen. (Kommen Sie mir nicht mit der Verbraucherverantwortlichkeit, die nur bedeutet, dass die Industrie weder das Interesse an einer, noch das Potential zu einer Lösung hat. Da erwarte ich Ehrlichkeit.)

    Sönke Kroner
    • kjs (Redakion Faszination Chemie)
      am 29.06.2023
      Redaktion und Autor geht es in diesem Beitrag darum, auf die schwierige Problematik PFAS aufmerksam zu machen und zu zeigen, warum etwas gegen PFAS in der Umwelt getan werden muss, aber auch, welche Auswirkungen ein Verbot haben könnte. Außerdem wollen wir aufzeigen, wie Industrie, Gesellschaft und Wissenschaft darauf reagieren und haben stellvertretend für verschiedene Forschungsprojekte eines vorgestellt, das sich mit dem Abbau von PFAS beschäftigt.
      Details zum vorgestellten Plasmaverfahren würden den Umgang dieses Beitrags sprengen. Daher bitten wir, sich an das unter [5] genannten Forschungsinstitut zu wenden.
      Daneben gibt es verschiedene andere Ansätze, PFAS aus der Umwelt zu eliminieren, etwa PFAS durch ungefährlichere Substanzen zu ersetzen (s. zum Beispiel https://www.lbf.fraunhofer.de/de/verbundprojekte/substitution-pfas.html)
      Wir verfolgen das Thema weiter und freuen uns auf Hinweise und Anregungen unserer Leserinnen und Leser.

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