Zu Risiken und Nebenwirkungen ... - Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
Folge 4: Aktuelle Chemie 2019 – Medizin und Gesundheit
"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den Beipackzettel und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!"
Wer kennt ihn nicht, diesen Hinweis bei Medikamenten. Und tatsächlich lohnt sich ein Blick auf diese Gebrauchsinformation für den Patienten. Denn dort finden sich wichtige Hinweise zur Einnahme des Medikaments: wann man es nicht verwenden darf, wie die Wirkung des Medikaments durch andere Arzneimittel beeinflusst werden kann und welche Nebenwirkungen in klinischen Studien beobachtet wurden. All diese bisweilen lebensrettenden Hinweise sind Erkenntnisse, die bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe durch zwei Fachgebiete der Pharmakologie gewonnen werden: der Pharmakokinetik und der Pharmakodynamik.
Die Pharmakokinetik ist seit über 60 Jahren ein wichtiger Wissenschaftszweig bei der Medikamentenherstellung und untersucht die Verteilung und den Metabolismus von Wirkstoffen im Körper. Es wird also die Frage beantwortet, was der Organismus mit einem Wirkstoff macht. Bei der Pharmakodynamik geht es umgekehrt darum, was der Wirkstoff mit dem Organismus macht, also welche Wirksamkeit er erzielt. Diese Disziplin untersucht beispielsweise das Wirkprofil, die Dosis-Wirkungsbeziehung (welche Dosierung wirkt noch, ohne toxisch zu sein), den genauen Wirkmechanismus eines Wirkstoffes und die Wechselwirkungen mit anderen Molekülen.
Ein Experte auf diesem Gebiet ist Professor Bernd Clement, Lehrstuhl für Pharmazeutische/Medizinische Chemie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der Chemiker und Apotheker sagt zum dynamischen Zusammenspiel der beiden Teilgebiete der Pharmakologie: „Die Entwicklung eines neuen Medikaments beginnt mit der Pharmakodynamik und der Frage: Was kann ich tun, um ein bestimmtes Krankheitsbild zu bekämpfen, was ist ein gutes und geeignetes Target? Dann beginnt die gezielte Suche nach Wirkstoffmolekülen, die an das Target passen und untersucht deren pharmakodynamisches Potential. Irgendwann hat man eine Leitstruktur, die weiter optimiert werden muss, und ab da kommt die Pharmokokinetik ins Spiel. In diesem Wechselspiel erfolgt dann entweder die Optimierung des Wirkstoffes bis zur Zulassung oder aber es stellt sich heraus, dass dieser Wirkstoff doch nicht geeignet ist, weil etwa der Metabolismus dagegen spricht.“ (S Beiträge Medikamentenentwicklung und Leitstrukturoptimierung).
Herausforderung I: Metabolismus ist ein Wettlauf gegen die Zeit
Die Pharmakokinetik umfasst alle Prozesse, die ein Arzneistoff im Organismus durchläuft. Dazu gehören die Freisetzung (Liberation) des Arzneistoffes, seine Aufnahme (Absorption), die Verteilung im Körper (Distribution), der biochemische Um- und Abbau (Metabolisierung) sowie seine Ausscheidung (Exkretion), kurz LADME. Vor allem der Kampf gegen den Metabolismus ist oftmals ein Wettlauf gegen die Zeit für den Wirkstoff im Medikament. Denn er muss möglichst schnell und mit noch wirksamer Dosierung an seinem Zielort im Körper ankommen. Darüber entscheidet sich in klinischen Studien dann auch, in welcher Darreichungsform – ob als Tablette, Dragee, Tropfen, Zäpfchen oder Spritze - das Medikament verabreicht wird.
„Ein Medikament – etwa oral aufgenommen – muss im Körper seinen Wirkstoff freisetzen können, der Wirkstoff muss absorbiert werden und durch Membranen diffundieren können. Diese Hürde kann aber sehr hoch sein“, beschreibt Professor Clement das Hauptproblem. „Denn ein extern zugeführter Wirkstoff wird zunächst einmal im Organismus als etwas Fremdes wahrgenommen und der Körper möchte ihn eigentlich loswerden und ausscheiden. Daher werden diese Fremdkörper von einem ganzen Arsenal an Enzymen bekämpft und metabolisiert. Dazu gehören vor allem Cyotochrome P450, die wasserunlösliche in wasserlösliche Substrate umwandeln, damit diese besser ausgeschieden werden können. Auch Transporter schleusen Fremdstoffe aus der Zelle wieder heraus.“
Herausforderung II: Wechselwirkungen und unsere Individualität
Die Wahrscheinlichkeit für Wechselwirkungen wächst zudem mit der Dosis und Zahl gleichzeitig eingenommener Medikamente. Die genaue Untersuchung und Kenntnis der jeweiligen pharmakokinetischen und -dynamischen Besonderheiten und Wechselwirkungen von Medikamenten mit entsprechender Dosisanpassung sind daher heute ein wichtiges Kriterium für eine gute Arzneimittelpraxis und ein gutes Medikamentenmanagement. Deshalb ist nach der Zulassung eines Medikaments und den erfolgreich abgeschlossenen klinischen Studien (Phasen I-III) die Pharmakokinetik noch längst nicht beendet. „Es gelten heute sehr strenge Überwachungen nach der Zulassung. In dieser Phase IV zeigt sich dann oft erst im Alltagstest und in der flächendeckenden Anwendung bei den betroffenen Patienten, welche neuen positiven oder negativen Wechselwirkungen auftreten können“, sagt Clement.
Eine weitere Herausforderung bei den pharmakokinetischen und –dynamischen Untersuchungen ist unsere Individualität. Theoretisch müsste jeder Mensch, auch bedingt durch Alter, Körpergröße, Geschlecht, Gewicht, Gesundheitszustand etc. anders auf die Einnahme von Medikamenten reagieren. „Tatsächlich sind unsere Prüfmethoden aber aufgrund des großen Erfahrungsschatzes und der umfassenden Literatur, auf die wir zugreifen können, recht sicher. Wir können frühzeitig schon in der Arzneistoffentwicklung einen großen Teil der Wirkstoffe aussortieren, die nicht sicher sein würden. Auch aufgrund zu hoher Nebenwirkungen für den Menschen. Allerdings ist die Abbruchquote immer noch relativ hoch, sodass hier weiter optimiert werden muss“, weiß Bernd Clement aus Erfahrung. Er verweist darauf, dass hier die Digitalisierung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz Fortschritte erbringen können.
Um der Variabilität und Individualität weiter Rechnung zu tragen, soll die sogenannte personifizierte Medizin/ Pharmazie weiter vorangetrieben werden. Hierbei werden bei den Individuen besondere genetische Variationen erfasst und darauf die Therapie gezielt abgestimmt. Es soll also mehr das Individuum und nicht die Krankheit behandelt werden. Hier liegen im Bereich der Krebstherapie bereits eine Reihe von positiven Beispielen vor.
Letztlich hängt aber auch vieles vom Patienten selber ab. Denn wenn er sich - neben den Anweisungen von Arzt und Apotheker - über die Hinweise im Beipackzettel seines Medikaments informiert und sich an die Einnahmevorschriften hält, dann war die mühevolle und zeitraubende Entwicklungsleistung forschender Pharmaunternehmen und Universitäten nicht umsonst und das Medikament wirkt, wie und wo es wirken soll.
Wissenschaftliche Beratung: Professor Bernd Clement, Lehrstuhl für Pharmazeutische/Medizinische Chemie, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Bildnachweis Titelbild: Peter Schreiber Media/stock.adobe.com
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