Mehr Bioplastik – mehr Klimaschutz?

 

Nachhaltigkeit und Klimaneutralität bestimmen die gesellschaftliche Diskussion beim Klimaschutz. Zahlreiche Produkte werden mittlerweile als nachhaltig und damit ressourcen- und umweltschonend deklariert. Und wo Bio draufsteht, steckt auch Bio drin. Davon jedenfalls gehen Konsument*innen aus, die nachhaltig leben und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten möchten. Doch stimmt das überhaupt? Eine nähere Betrachtung beispielsweise der Biokunststoffe lässt da Zweifel aufkommen. 

Was ist Bioplastik?

Die nicht geschützte Bezeichnung „Bioplastik“ wird sowohl für biobasierte Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen (wie Mais, Zuckerrohr oder Kartoffeln), als auch für biologisch abbaubare Kunststoffe (z.B. aus thermoplastischer Stärke, Cellulose oder abbaubarem Polyester) verwendet. Der Anteil von Biokunststoffen am weltweiten Kunststoffmarkt beträgt aktuell rund zwei Prozent, bei jährlichen Wachstumsraten von drei bis vier Prozent [1].

Bioplastik gilt allgemein als nachhaltig und sogar klimaneutral: Denn nur das Kohlendioxid (CO2), das die Pflanzen während des Wachstums aufnehmen, also aus der Atmosphäre entnehmen, gelangt am Ende des Lebenszyklus‘ wieder in die Atmosphäre zurück. So die Theorie, denn genau hier liegt der Trugschluss. Eine neue Studie der Universität Bonn kommt zu einer kritischen Bewertung der alternativen Kunststoffe und sieht für diese sogar ein Nachhaltigkeits-Dilemma. Die Studie in der Fachzeitschrift „Resources, Conservation & Recycling“ zeigt, dass die Nachhaltigkeit von pflanzenbasierten Biokunststoffen maßgeblich vom Herkunftsland, seinen Handelsbeziehungen und dem verarbeiteten Rohstoff abhängt [2].

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die Faktoren zur Klimabilanz pflanzenbasierter Kunststoffe und hier vor allem den Einfluss der Anbauflächen. Denn das Hauptproblem ist, dass bei steigender Nachfrage an Rohstoffen für die Bioplastik-Produktion die Anbauflächen weltweit nicht mehr ausreichen. Die für biobasierte Kunststoffe landwirtschaftlich gewonnenen Rohstoffe wachsen zwar nach, aber sie stehen aufgrund der Anbaufläche nur begrenzt zur Verfügung. Zudem konkurrieren sie (wie schon beim Biodiesel) um Ackerflächen zur Lebensmittelproduktion.

Wissenschaftliche Studie: 180 Szenarien für verschiedene Regionen

Schon jetzt werden daher auf allen Kontinenten Wälder abgeholzt und in landwirtschaftlich genutzte Anbauflächen umgewandelt. Das wiederum setzt große Mengen Kohlendioxid frei. Für ihre Untersuchungen verwendete die Forschergruppe ein flexibles und nach einem Baukastenprinzip aufgebautes Wirtschaftsmodell, mit dem sie die Auswirkungen des steigenden Angebots an Bioplastik simulieren konnten. Die Wissenschaftler schlüsselten dazu sowohl konventionelle Kunststoffe als auch Biokunststoffe sowie zusätzliche Pflanzen wie Mais und Maniok auf. „Das ist entscheidend, um die Lieferkette von Biokunststoffen in den wichtigsten Produktionsregionen besser darzustellen und ihre Umweltauswirkungen aus der Lebenszyklusperspektive heraus zu bewerten“, betont Agraringenieurin Dr. Neus Escobar in einer Pressemeldung der Uni Bonn [3].

Gemeinsam mit Dr. Wolfgang Britz führte sie die Studie am Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik sowie am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn durch. In der Studie berücksichtigten sie den Verlust der natürlichen Vegetation im globalen Umfang und machten Schätzungen darüber, wo es wie viele Flächen gibt, die leicht in produktive Nutzungen umgewandelt werden können. Insgesamt simulierten sie 180 Szenarien für verschiedene Regionen, die nach dem Grad der Marktdurchdringung von Biokunststoffen und weiteren Modellparametern variierten. Zu den untersuchten Regionen gehörten Brasilien, China, die Europäische Union, die USA sowie Thailand, wo es (noch) viele kohlenstoffreiche Wälder gibt. „Wir fanden heraus, dass die CO2-Fußabdrücke von kommerziell erhältlichen Biokunststoffen viel größer sind als die Werte, die bisher in der wissenschaftlichen Literatur und in politischen Berichten geschätzt wurden“, betont Neus Escobar [3].

Der Grund: Die CO2-Emissionen, die durch Veränderungen der Landnutzung entstehen, überwiegen langfristig die Einsparungen von Treibhausgasen, die durch die Substitution fossiler Rohstoffe bewirkt werden. Mit anderen Worten: Erst eine Gesamtbetrachtung der gesamten Wertschöpfungskette zeigt, dass am Ende mehr CO2 entsteht, als verbraucht wird. Thailand stellt dabei aktuell noch eine Ausnahme dar. Die dort hergestellten Biokunststoffe sparen im Durchschnitt zwei Kilogramm CO2 pro Tonne ein. Das liegt laut Escobar und Britz hauptsächlich daran, dass der Marktanteil sowohl von Kunststoffen als auch von Biokunststoffen in Thailand kleiner ist als in den anderen betrachteten Regionen. Eine steigende Produktion von Biokunststoffen aus Maniok und Zuckerrohr könnte jedoch auch hier zum Verlust von kohlenstoffreichen Ökosystemen innerhalb des Landes führen, so die Forscher*innen.

Der „Fußabdruck“ [4] von Bioplastik

Den größten Fußabdruck in der Landnutzung schätzen sie für chinesische Biokunststoffe, während die Europäische Union den größten durchschnittlichen CO2-Fußabdruck aufweist: Biokunststoffe, die in der EU produziert werden, brauchen im Durchschnitt 232,5 Jahre, bis sie die globalen CO2-Emissionen kompensieren. Die Biokunststoffproduktion in den USA verursacht laut Studie wiederum den größten Übertragungs-Effekt. Mit diesem „Spillover“ ist gemeint, dass die durch die Produktion bedingte Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen, die Abholzung und die Kohlenstoffemissionen im Rest der Welt größer sind als innerhalb des Landes. „Unsere Studie zeigt, dass eine Ausweitung der biobasierten Produktion sorgfältig für jede einzelne Region bewertet werden sollte, um potenzielle Nachhaltigkeitsrisiken und Zielkonflikte zu verstehen“, so Neus Escobar [3]. So geht die Produktion von Biokunststoffen in Thailand und Brasilien zu einem großen Teil zu Lasten von Waldflächen, was letztlich auch negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben kann. Die Autoren betonen, dass die vorgeschlagenen Metriken in Zukunft dazu verwendet werden können, um die langfristige Nachhaltigkeit von bioökonomischen Eingriffen global zu überwachen. Die Kennzahlen könnten helfen, festzustellen, wo sinnvolle Maßnahmen erforderlich sind – zum Beispiel, um Abholzungen zu verhindern.

Und das Handlungsbedarf besteht, zeigt eine aktuelle Studie zum brasilianischen Regenwald in der Fachzeitschrift Nature [5]. Das östliche Amazonasgebiet gibt dieser Studie zufolge vor allem in der Trockenzeit inzwischen mehr Kohlenstoff in unsere Atmosphäre ab, als es in Form von Biomasse bindet. Als Hauptgrund gilt das bei Brandrodungen in großen Mengen freigesetzte Treibhausgas Kohlendioxid.

Dr. Jörg Wetterau

Labor für Kommunikation, Linsengericht

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