Ist das Baby gesund? - Neugeborenenscreening

 

Ist unser Baby gesund? Das möchten alle frisch gebackenen Eltern wissen. Ein chemisches Verfahren, die sogenannte Massenspektrometrie, hilft diese Frage zu beantworten. Fast alle Babys in Deutschland werden nach der Geburt auf verschiedene Krankheiten untersucht, damit im Fall des Falls eine schnelle Behandlung erfolgen kann.

Es gibt Krankheiten, mit denen wir Menschen bereits geboren werden können. Dazu gehören manche Störungen des sogenannten Metabolismus. Der Begriff Metabolismus oder Stoffwechsel umfasst alle an der Umwandlung von Nahrung und Sauerstoff beteiligten Vorgänge im Körper. Von besonderer Bedeutung sind dabei die chemischen Reaktionen, die in den jeweiligen Organen ablaufen. Im Allgemeinen entstehen dabei zuerst Zwischenprodukte, die Metaboliten heißen. Über das Blut gelangen sie vom Entstehungsort zu anderen Organen. Dort reagieren sie weiter zu Endprodukten. Bestimmte chemische Verbindungen, die Enzyme, steuern die Reaktionen.

Fehlt das für eine Reaktion zuständige Enzym, läuft diese nicht richtig ab: Es stauen sich beispielsweise Metabolite an, weil ihre Weiterreaktion gestört ist. Oder es entstehen Metabolite, die bei gesundem Stoffwechsel nicht vorhanden sind. Eine Analyse der im Blut enthaltenen Metabolite gibt daher Auskunft über mögliche Stoffwechselerkrankungen.

Beim Diagnostizieren einer Krankheit stützen sich Ärzte einerseits auf deren äußerlich wahrnehmbare Auswirkungen oder Schilderungen des Patienten. Andererseits ziehen sie häufig auch die Informationen von Laboruntersuchungen beispielsweise einer Blutprobe heran. In manchen Fällen ist das Laborergebnis von besonders großer Bedeutung, zum Beispiel beim sogenannten Neugeborenenscreening.

Frühe Untersuchungen sind wichtig

Dieses ist eine der wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen kurz nach der Geburt. Einige der dabei erfassten Stoffwechselerkrankungen können innerhalb kürzester Zeit zu körperlichen Schäden oder sogar zum Tod führen. „In diesem Fall ist der Arzt jedenfalls auf die Kenntnis der im Blut vorhandenen Metabolite angewiesen“, erklärt Prof. Dr. Uta Ceglarek vom Universitätsklinikum Leipzig. „Wir helfen den Babys nämlich nur dann effektiv, wenn wir die Erkrankungen vor dem Auftreten äußerlich wahrnehmbarer Auswirkungen feststellen.“

Störungen oder Defekte des Metabolismus sollten daher bereits in den ersten fünf bis sieben Lebenstagen des Neugeborenen diagnostiziert werden. Kennen die Ärzte die Erkrankung des Babys, können sie negativen Folgen durch eine entsprechende Behandlung entgegenwirken. Angeborene metabolische Krankheiten können zwar nicht geheilt werden. Meist gelingt es aber, durch eine spezielle Diät oder ein Medikament körperliche Schäden zu vermeiden oder zumindest einzudämmen.

Das Studium von Metaboliten (engl. Metabolomics) ist in Bezug auf Anwendungen unabdingbar. Je nach Erkrankung liegen unterschiedlichste Metaboliten im Blut vor. Eine effiziente Methode zu ihrem Nachweis muss daher viele verschiedene Metaboliten-Moleküle erfassen können. Sie ist Voraussetzung für die ökonomische Suche nach Anzeichen für eine ganze Reihe von Erkrankungen, das sogenannte Screening.

Tatsächlich verfügt die chemische Analytik mit der Massenspektrometrie über eine solche universale Methode. Im Fall des Neugeborenenscreenings sind drei tausendstel Milliliter Blut ausreichend, um auf mehr als zehn Krankheiten schließen zu können.

Methode der Wahl: Massenspektrometrie

Das Funktionsprinzip der Massenspektrometrie basiert darauf, dass Metaboliten-Moleküle mit verschieden großen Massen bezüglich einer Bewegungsänderung unterschiedlich träge sind. Beim Neugeborenenscreening löst man zuerst einen kleinen Bluttropfen in Lösemittel und versprüht die Lösung im Analysengerät – dem sogenannten Massenspektrometer. Außerdem versieht man sämtliche Moleküle mit einer elektrischen Ladung. Dieser Vorgang heißt Ionisieren. Im nächsten Schritt gelangen die gasförmigen Moleküle in jenen Bereich des Geräts, der äußere elektrische Felder aufweist. Dort werden die Moleküle entsprechend ihrer Masse und Ladung beschleunigt und aufgetrennt (s. Kasten). 

Bei der Auswertung des Messergebnisses ist zu berücksichtigen, dass die Moleküle eines bestimmten Metaboliten verschieden große Ladungen aufweisen können. Außerdem kommt es vor, dass Moleküle beim Ionisieren in Bruchstücke zerfallen. „Beim Neugeborenenscreening betrachten wir das für den Stoffwechsel spezifische Gesamtprofil an Metaboliten. Für jeden Metabolit detektieren wir jeweils das ursprüngliche Molekül sowie ein charakteristisches Bruchstück davon“, präzisiert Prof. Ceglarek.

Der massenspektrometrische Laborbefund ist für die medizinische Diagnostik sehr hilfreich, bei der Vorsorgeuntersuchung von Babys steht er sogar im Zentrum. Schließlich können Babys noch nicht sagen, was ihnen wehtut. Zugleich stellt das Ergebnis jeder chemischen Analyse noch keine abschließende Diagnose dar. Die Massenspektrometrie liefert nur Anzeichen für eine Erkrankung. Der Arzt interpretiert die Laborergebnisse im Gesamtzusammenhang sämtlicher medizinischer Aspekte und stellt darauf aufbauend fest, ob eine Krankheit vorliegt. Zwei bis fünfzig Prozent der Neugeborenen mit positivem Laborbefund weisen tatsächlich eine Erkrankung auf. Diese Wahrscheinlichkeit hängt von der konkreten Erkrankung ab. Die jeweilige Menge der betrachteten Metaboliten sowie ausgewählte Mengenverhältnisse können nämlich je nach Krankheit mehr oder weniger spezifisch sein. Hohe Spezifität bedeutet, dass das Analysenergebnis nicht auch durch andere Ursachen, zum Beispiel besondere Ernährung, hervorgerufen werden kann.

Das Neugeborenenscreening wurde Ende der 1960er-Jahre deutschlandweit eingeführt. Seither sind weitere Krankheiten in das Programm aufgenommen und die Methode weiterentwickelt worden – unter anderem von Prof. Ceglarek. Sie kann sich über eine sehr große gesellschaftliche Akzeptanz freuen: Mehr als 99% aller Babys nehmen daran teil.

Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Uta Ceglarek (Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik am Universitätsklinikum Leipzig)

Zum Weiterlesen:

Wie funktioniert ein Massenspektrometer: Infos

Wie funktioniert die Flüssigchromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung (LC/MS, HPLC-MS): Infos

Autor:
Dr. Markus Seidl-Nigsch
Schoppernau, Österreich

Bildnachweis Titelbild: Peter Schreiber Media/stock.adobe.com

Dieser Beitrag wurde auf FaszinationChemie erstmalig veröffentlicht am 15.03.2019.

Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben