Hohe Hürden bei der Zulassung eines Erstmedikaments 

 

Folge 13: Aktuelle Chemie 2019 – Medizin und Gesundheit

Die Entwicklung eines Medikaments ist ein Prozess aus hunderten von Einzelschritten, vielen Rückschlägen und sehr hohem Forschungsbudget, bei der am Ende die offizielle Zulassung darüber entscheidet, ob sich der Aufwand gelohnt hat. Bis zur Markteinführung eines neuen Medikaments vergehen in der Regel über zehn Jahre. Bei Kosten von durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro pro Medikament ist der Erfolgsdruck entsprechend groß, denn nur die wenigsten Wirkstoffe erreichen die Arzneimittelzulassung.

Dazu schreibt die Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf ihrer Internetseite:
„Eine Arzneimittelzulassung ist die staatliche Erlaubnis, ein Arzneimittel in Deutschland in den Verkehr zu bringen. Im Rahmen eines Zulassungsverfahrens werden die Wirksamkeit, die Unbedenklichkeit und die angemessene pharmazeutische Qualität von Arzneimitteln geprüft. Die Wirksamkeit ist durch klinische Studien zu belegen. Eine Zulassung erfolgt nur für diejenigen Anwendungsgebiete (Indikationen), für die in den Zulassungsunterlagen die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachgewiesen wurde. Die angemessene pharmazeutische Qualität ist durch Versuche gemäß den gesetzlichen Vorgaben zu belegen. In der Gesamtbewertung muss der Nutzen die Risiken überwiegen.“

Damit ein neues Medikament auf dem Markt kommt, muss es wirksamer sein, als vorhandene Wirkstoffe bei einer indizierten Krankheit. Bei fehlenden Wirkstoffen oder Medikamenten für eine Therapie ist dies naturgemäß einfacher, weil keine Vergleichswerte existieren. Bei schon lange eingeführten Medikamenten wie Schmerzmitteln oder Antibiotika ist die Hürde gleichwohl höher, da es schon viele gute eingeführte Medikamente mit guter Wirksamkeit gibt.

Erfolgreiche Klinische Phasen I bis III sind der Türöffner

Entscheidend ist also vor allem der Nachweis der Wirkung eines neuen Medikaments in klinischen Studien. Die klinische Prüfung an Erwachsenen besteht aus drei Phasen: In Phase I wird an wenigen gesunden Freiwilligen getestet, ob sich Vorhersagen bei Tierversuchen über Aufnahme, Verteilung, Verträglichkeit, Umwandlung und Ausscheidung beim Menschen bestätigen. In Phase II erhalten 100 bis 500 erwachsene Erkrankte entweder das neue Medikament oder eine Vergleichsbehandlung, um Wirksamkeit, Verträglichkeit und Dosierung des Medikaments zu testen. In Phase III erproben Kliniken weltweit das Medikament mit meist mehreren tausend erwachsenen Erkrankten (Männer und Frauen). 

Waren alle Studien und Tests erfolgreich, kann das pharmazeutische Unternehmen bei den Behörden die Zulassung beantragen. Für Länder der Europäischen Union ist die europäische Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) in London zuständig, alternativ kann der Antrag auch bei einer nationalen Zulassungsbehörde gestellt werden. In Deutschland ist dies neben dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn noch das Paul-Ehrlich-Institut in Langen. 

Bei der Zulassung schlägt die Stunde der Bürokratie, wenn auch mittlerweile überwiegend digitalisiert, denn seit August 2013 verzichtet etwa das BfArM für alle Antragsverfahren bei Nutzung des PharmNet.Bund-Portals oder des europäischen Portals CESP sowie bei Nutzung anderer elektronischer Speichermedien auf eine Einreichung in Papierform. Und das ist sinnvoll, denn mit dem Zulassungsantrag reicht ein Unternehmen Unterlagen über die technische Qualität des Arzneimittels und sämtliche vorklinischen und klinischen Studienergebnisse ein. Und da kommt schnell ein Umfang von über 500 000 Seiten zusammen.

Auszug aus dem Arzneimittelgesetz / AMG, § 21 Zulassungspflicht

§ 21 Zulassungspflicht
(1) Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 sind, dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 Abs. 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1) oder der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 erteilt hat. Das gilt auch für Arzneimittel, die keine Fertigarzneimittel und zur Anwendung bei Tieren bestimmt sind, sofern sie nicht an pharmazeutische Unternehmer abgegeben werden sollen, die eine Erlaubnis zur Herstellung von Arzneimitteln besitzen.

Scheitern in der Zulassung und Verlängerungsanträge 

Während der Zulassungsphase können Medikamente aus unterschiedlichen Gründen scheitern: Entweder sind die Unterlagen unvollständig, die Wirkstoffe wurden nicht ausreichend geprüft oder die Qualität ist nicht ausreichend, die therapeutische Wirksamkeit fehlt, die Risiken (Nebenwirkungen) für den Patienten sind größer als der Nutzen oder ein Inverkehrbringen des Arzneimittels würde gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen (Quelle: Zulassungsversagungsgründe nach § 25 AMG).

Die Bearbeitung eines Zulassungsantrags für ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff kostet bei der EMA mindestens rund 260 000 Euro und dauert im Schnitt 13 Monate. Gemessen an den Gesamtkosten eines neuen Medikaments von durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro und den 10 bis 12 Jahren Entwicklungszeit, ist die Zulassung also ein überschaubarer Posten, allerdings auch der wichtigste. Denn erst nach der Markteinführung hat ein Unternehmen überhaupt die Chance, die Entwicklungskosten wieder einzuspielen. 

Eine einmal erteilte Zulassung für ein Arzneimittel gilt nicht automatisch für die Ewigkeit. Im Gegenteil: Spätestens fünf Jahre nach Erteilung der Zulassung muss einmalig ein Antrag auf Verlängerung gestellt werden, denn es muss geprüft werden, ob der medizinische Nutzen des Arzneimittels immer noch größer ist als dessen mögliche Risiken, z. B. aufgrund von Nebenwirkungen, die bei der Erstzulassung des Medikaments möglicherweise noch nicht bekannt waren. Deshalb gehen die Klinischen Studien auch nach der Zulassung weiter, dann gewissermaßen im Feldbetrieb. Denn oft werden erst im Dauereinsatz weitere Risiken und Nebenwirkungen erkannt, speziell in Kombination mit der Einnahme anderer Medikamente. Diese Zeit der Untersuchungen wird auch Phase IV genannt.

Ist der Antrag auf Verlängerung erfolgreich, gilt die Zulassung danach unbegrenzt fort. Sollte ein Unternehmen keinen Verlängerungsantrag stellen oder selbst freiwillig auf eine bestehende Zulassung verzichten, darf das Arzneimittel noch für einen begrenzten Zeitraum weiter vertrieben werden. Und kommt ein Arzneimittel innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Zulassung erst gar nicht in den Verkehr oder ist nach der Zulassung in drei aufeinander folgenden Jahren nicht mehr im Verkehr, erlischt die Zulassung.

Auf das Auslaufen von Schutzfristen warten vor allem Generikahersteller. Sie stehen in den Startlöchern, um entsprechend teure, umsatzstarke Medikamente durch günstigere Generika zu verdrängen. Doch auch die Markteinführung von Nachahmerprodukten geht nicht ohne eine entsprechende Zulassung. Allerdings sind hierbei die Hürden weit weniger hoch, als bei völlig neuen Medikamenten. In der Regel ist eine Markteinführung von Generika aber ohnehin erst zehn bis 15 Jahre nach Erstzulassung des Referenzarzneimittels zulässig.
 

Dr. Jörg Wetterau

Labor für Kommunikation, Linsengericht

Weiterführende Quellen und Links:

1

Verband der forschenden Pharmaunternehmen: https://www.vfa.de

2

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): https://www.bfarm.de/DE/Home/home_node.html

3

EMA (European Medicines Agency): https://www.ema.europa.eu/en

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