Geburtstag eines „Wundermittels“: 125 Jahre Aspirin

 

Bei Kopf- oder Gliederschmerzen ist der Griff zu einer schmerzlindernden Tablette schnell getan – und Millionen Menschen greifen in diesen Fällen zu Acetylsalicylsäure, kurz ASS (chemisch korrekt 2-Acetoxybenzoesäure mit der Summenformel C9H8O4). Die meisten kennen den Wirkstoff ASS als Aspirin. Unter diesem Namen hat die Firma Bayer das Medikament in den Handel gebracht und darunter ist es heute noch erhältlich.

Jubiläum eines weltweit bekannten Medikaments

Acetylsalicylsäure (Abb. 1) hat sich zum weltweit am häufigsten therapeutisch angewandten Wirkstoff entwickelt und immer wieder werden neue Einsatzgebiete gefunden. Die labortechnische, hochreine Herstellung dieses „Wundermittels“ jährt sich im August 2022 zum 125. Mal.

Schauen wir zurück auf den 10. August 1897 und werfen einen Blick in ein Labor der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Diese hatten 1896 gerade mit der systematischen chemisch-pharmazeutischen Forschung in einem zu diesem Zweck eigens eingerichteten Laboratorium begonnen, als dem jungen Chemiker Felix Hoffmann (1868-1946) just an diesem Tag bei der Suche nach einem brauchbaren Ersatz für Salicylsäure (Abb. 2) der entscheidende Durchbruch gelang. Der Zufall kam ihm dabei zu Hilfe, ist in einer Firmenbroschüre des Bayer-Konzerns zu „100 Jahre Aspirin“ nachzulesen [1]. Demnach nahm sein rheumakranker Vater die ihm verordneten und damals als Schmerzmittel verfügbaren Salicylate wegen der unangenehmen Nebenwirkungen nur mit Widerwillen ein. Denn Salicylsäure in ihrer ursprünglichen Form reizt bei längerfristiger Einnahme die Schleimhäute und löst Brechreiz aus.

Wichtiger Schritt: die chemische Reinheit des Wirkstoffes

Daher versuchte Hoffmann (Abb. 3), die Substanz durch Verbindung mit Essigsäureanhydrid (wasserfreier Essigsäure) zu veredeln und verträglicher zu machen. Dabei wird anstelle der Hydroxy-Gruppe (OH-Gruppe) der Salicylsäure mittels Acetylierung eine Acetylgruppe des Essigsäureanhydrids gebildet.

Nach Erprobung aller möglichen Syntheseverfahren berichtete Felix Hoffmann in seinem Laborjournal vom 10. August 1897 (Abb. 4) schließlich über die von ihm erstmals in chemisch reiner, nebenproduktfreier und haltbarer Form hergestellte Acetylsalicylsäure. Die erzielte hohe Reinheit durch die durchgeführte Acetylierung ist dabei der entscheidende Schritt in der Entwicklung von ASS, denn bekannt war die Substanz schon länger. Sie wurde bereits 1853 beschrieben. Der französische Chemiker Charles Frederic Gerhardt (1816-1856) hatte Acetylsalicylsäure aus der Umsetzung von Natriumsalicylat mit Acetylchlorid gewonnen. Allerdings reinigte er die Substanz nicht und verzichtete auf pharmakologische Tests. Ein Patent auf den Wirkstoff wurde Bayer daher zunächst vom Patentamt verweigert, da die Substanz bereits bekannt war. 

Zwar wird in der Standardliteratur die Synthese medizinisch reiner Acetylsalicylsäure Felix Hoffmann zugeschrieben, aber seinem ebenfalls im Bayer-Labor tätigen Kollegen und damaligen Laborleiter Arthur Eichengrün (1867-1949) wird eine Miturheberschaft attestiert. „Der 1894 bei den FFB eingestellte Felix Hoffmann forschte an der Salicylsäure, synthetisierte daraus 1897 Acetylsalicylsäure, aus der unter Mithilfe seines Kollegen Arthur Eichengrün das 1899 patentierte Aspirin entstand.“ So jedenfalls wird der damalige Bayer-Generaldirektor Carl Duisberg (1861-1935) in einem seiner Briefe zitiert [2].

Eine Tablette als Verkaufsschlager

Zunächst wollte der damalige Leiter des Pharmakologischen Instituts von Bayer in Elberfeld, Heinrich Dreser (1860-1924), nichts von dem neuen Wirkstoff wissen. Erst als sich Carl Duisberg einschaltete, wurde ASS nochmals pharmakologisch geprüft.

Die pharmakologischen Eigenschaften der Acetylsalicylsäure, wie schmerzstillende, entzündungshemmende und fiebersenkende Wirkung sowie die bessere Verträglichkeit gegenüber den herkömmlichen Salicylaten, wurden letztlich in einer klinischen Erprobung 1898 an über 50 Patienten am Diakonissenhaus in Halle an der Saale bestätigt (Abb. 5). Diese vielversprechenden Resultate veranlassten das Unternehmen schließlich, den Wirkstoff zu produzieren. Mit der Eintragung des Handelsnamens „Aspirin" am 6. März 1899 unter der Nummer 36433 in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamts Berlin begann die ASS-Erfolgsgeschichte und machte das Arzneimittel schnell zu einem weltweiten Verkaufsschlager.

Das lag auch daran, dass Aspirin das erste wichtige Medikament war, das als Tablette und nicht nur als Pulver zur Verfügung stand. Eine Tablette ermöglicht im Gegensatz zum abgewogenen Pulver eine standardisierte Dosierung. Begleitet durch geschickte Werbekampagnen (Abb. 6) wurde ASS zu einem populären Medikament, dass zunächst vor allem bei Kopf- und Zahnschmerzen, Neuralgien, rheumatischen Beschwerden und Erkältungskrankheiten eingenommen wurde. 1950 tauchte das Medikament als meistverkauftes Schmerzmittel sogar im Guinness-Buch der Rekorde auf [4]. Heute produziert das Unternehmen am Standort in Bitterfeld-Wolfen jährlich über vier Milliarden Aspirin-Tabletten [5].

Aspirin im Weltall und auf dem Mond

Es wundert wenig, dass es Aspirin sogar in den Weltraum und bis zum Mond schaffte, denn es gehörte zur medizinischen Grundausstattung der Apollo-Astronauten. Zur „Apollo 11“-Mission veröffentlichte die NASA ein ausführliches Pressehandbuch mit insgesamt 250 Seiten. Die Bordapotheke enthielt demnach für die drei Astronauten: 60 Antibiotika, 12 Mittel gegen Übelkeit, 12 Aufputschmittel, 18 starke Schmerzmittel, 60 abschwellende Erkältungsmittel, 24 Tabletten gegen Durchfall, 72 Aspirin und 21 Schlafmittel [6]. Und natürlich war Bayer mächtig stolz darauf, wie auf einem Werbeplakat der damaligen Zeit zu erkennen war (Abb. 7).

Die Wirkungsweise der schmerzstillenden und entzündungshemmenden Eigenschaften blieb allerdings lange Zeit ungeklärt. Erst 1971 konnte der britische Biochemiker und Pharmakologe John Vane (1927-2004) nachweisen, dass Acetylsalicylsäure die Synthese bestimmter Botenstoffe – der Prostaglandine – hemmt. Prostaglandine fördern die Entzündung im Körper und sind am Schmerzprozess beteiligt. Für diese Forschung wurde Vane 1982 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Acetylsalicylsäure ist laut Bayer bis heute eine Schlüsselsubstanz moderner Forschung. Jährlich erscheinen durchschnittlich 1000 wissenschaftliche Veröffentlichungen über neue Wirkmechanismen und mögliche neue Anwendungsgebiete. So wird die Substanz aufgrund seiner blutverdünnenden Wirkung heute bei Risikopatienten zur Prävention eines erneuten Herzinfarkts oder Schlaganfalls eingesetzt.

Nicht unterschätzen: Nebenwirkungen

Doch wo viel Licht ist, fällt hin und wieder auch ein Schatten. Denn Aspirin kann auch schwere Nebenwirkungen hervorrufen. So darf es nicht bei bekannter Überempfindlichkeit, bei Blutungen oder bei der Neigung zu Blutungen, bei Bluthochdruck, bei schweren Leber- und Nierenfunktionsstörungen, bei Störung der Blutgerinnung oder bei schwerer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) angewendet werden. Zu den häufigsten, kurzfristig auftretenden Nebenwirkungen gehören Magen-Darm-Beschwerden wie Sodbrennen, Übelkeit oder Durchfall [7]. Und so vorteilhaft die blutverdünnende Wirkung zur Herzinfarktprophylaxe ist, kann diese bei Operationen durchaus problematisch sein. Deshalb wird empfohlen, fünf Tage vor Operationen kein Aspirin mehr einzunehmen, denn die blutverdünnende Wirkung von einer Tablette kann noch lange nach der Einnahme anhalten [8].

Unabhängig davon genießt Aspirin bis heute den Ruf als bekanntestes Schmerzmittel der Welt. Der „Vater“ der Acetylsalicylsäure Felix Hoffmann verzeichnete im legendären August 1897 übrigens noch einen weiteren spektakulären Erfolg: Bei der Acetylierung von Morphin mit Essigsäureanhydrid erhielt er ein „heroisches“ Molekül, das ebenfalls als Schmerzmittel bis 1931 von Bayer produziert wurde – Heroin. Doch das ist eine andere Geschichte.

Autor und Redaktion danken dem Bayer-Archiv für die Zurverfügungstellung von historischem Bild- und Broschürenmaterial.

Quellen

[1] 100 Jahre Aspirin – Firmenbroschüre Bayer (Bayer Archiv)
[2] Kordula Kühlem (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935). Briefe eines Industriellen. De Gruyter Oldenbourg 2012, ISBN 978-3-486-71283-4, S. 93.)
[4] Firmenpressemeldung Bayer zu 120 Jahre Aspirin
[5] Aspirin von Bayer: eine Reise von der Fabrik in den Körper (nzz.ch)
www.nzz.ch/gesellschaft/aspirin-von-bayer-eine-reise-von-der-fabrik-in-den-koerper-ld.1660184
[6] Geschichte von Aspirin: auf dem Weg zum Mond
www.bayer.com/de/news-stories/geschichte-aspirin-mondreise
[7] Aspirin: Wirkung, und Nebenwirkungen (Dt. Herzstiftung)
www.herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/gerinnungshemmung-und-medikamente/ass-aspirin
[8] Aspirin: Die gefährlichen Nebenwirkungen (NDR.de, Ratgeber-Gesundheit)
https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Aspirin-Die-gefaehrlichen-Nebenwirkungen,aspirin106.html

Dr. Jörg Wetterau

Labor für Kommunikation, Linsengericht

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