Europium – das Lanthanoid, das aus der Reihe tanzt

 

2019 - Jahr des Periodensystems

Als der französische Chemiker Eugène-Anatole Demarçay im Jahre 1901 das Element mit der Ordnungszahl 63 erstmals isolierte, benannte er es nach seinem Heimatkontinent Europium. [1] Europium gehört zu den Lanthanoiden, jenen vierzehn Elementen des Periodensystems, bei denen die 4f-Schale mit Elektronen aufgefüllt wird, welche sich an chemischen Bindungen in der Regel nicht beteiligen. Aus diesem Grund sind sie für die Chemie weit weniger relevant als s-, p- oder d-Elektronen und die Lanthanoide einander chemisch sehr ähnlich – nicht jedoch das Europium, welches in vielen Belangen aus der Reihe tanzt. Hiermit ergibt sich eine interessante Analogie zum Namensgeber. Der Kontinent Europa ist auch nur Teil eines Größeren, nämlich geographisch gesehen eine Halbinsel von Asien – jedoch hiervon in vielen Aspekten deutlich verschieden.

Betrachten wir die bereits erwähnte Elektronenkonfiguration etwas genauer, denn aus dieser ergibt sich für jedes Element eine Vielzahl von chemischen und physikalischen Eigenschaften. Lanthan steht in der Gruppe 3 des Persiodensystems der Elemente (Ordnungszahl 57) mit der Elektronenkonfiguration [Xe]6s25d1, ist also ein Übergangsmetall. In den dem Lanthan ähnlichen Elementen (= Lanthanoide) Ln = Ce, Pr, Nd, Pm, Sm, Eu, Gd, Tb, Dy, Ho, Er, Tm, Yb, Lu wird die 4f-Schale mit Elektronen aufgefüllt im Sinne einer Elektronenkonfiguration [Xe]6s25d04fn+1 (Ausnahme 5d14f7 bei Gd, 5d14f14 bei Lu). In Verbindungen ist die dreiwertige Oxidationsstufe, d. h. Ln3+ mit [Xe]4fn i. d. R. bevorzugt. Ein interessantes Detail sorgt nun für den besonderen Charakter des Europiums, nämlich die energetische Bevorzugung leerer, halbvoller und voller Schalen, also 4f0, 4f7 und 4f14. Für Europium, das sechste Lanthanoid bedeutet dies, dass ein zweiwertiger Oxidationszustand mit [Xe]4f7 energetisch eine gute Alternative darstellt zum dreiwertigen mit [Xe]4f6. Gleiches gilt prinzipiell auch für Ytterbium (dort [Xe]4f14 gegen [Xe]4f13), jedoch ist die Ionisierungsenergie eines Ions Eu2+ fast dreimal so hoch wie bei Yb2+, weshalb das „aus der Reihe tanzen“ beim Europium noch deutlich stärker ausgeprägt ist. In Lösung sind Europium und Ytterbium leicht, z. B. durch Zink, in die zweiwertige Oxidationsstufe zu bringen und gut von den anderen Lanthanoiden zu trennen. Dies ist ein entscheidender Vorteil, da jene wegen ihrer chemischen Ähnlichkeit nur sehr schwer voneinander separierbar und rein darzustellen sind. Der Wechsel von dreiwertiger zu zweiwertiger Oxidationsstufe ist oft mit drastischen Änderungen der Eigenschaften verbunden. So ist Europiumoxid mit dreiwertigem Europium, Eu2O3, farblos, während EuO mit zweiwertigem Europium dunkel-rotviolett ist. Sehr deutlich ist auch der Unterschied bei den magnetischen Eigenschaften mit einem sehr großen magnetischen Moment von 7,94 µB für das freie Eu2+- und keinem (0 µB) beim freien Eu3+- Ion. Mit magnetischen Messungen oder über Mößbauer-Spektroskopie sind daher beide Oxidationsstufen sehr leicht zu unterscheiden.

Nehmen die 4f-Elektronen auch kaum an der chemischen Bindung teil, so haben sie aber dennoch einen sehr großen Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften, insbesondere auf spektroskopische und magnetische. Dies legt den Grundstein für die Verwendung von Europium-Verbindungen z. B. als Leuchtmittel. Das Leuchten von Europiumverbindungen im UV-Licht beruht auf Lumineszenz. Geringe Mengen eines Aktivatorlementes (hier Europium), meist wenige Promille oder Prozent, werden hierzu in eine Feststoff-Matrix eindotiert, was dann in Formeln wie Y2O2S:Eu3+ zum Ausdruck kommt. Dieser Stoff kann mit UV-Licht (in Leuchtstoffröhren) oder durch Elektronenbeschuss (in alten Farbbildschirmen, also Kathodenstrahlröhren) angeregt werden, was zur Emission von rotem Licht führt. In modernen Plasma-Bildschirmen wird oft (Y1-xGdx)BO3:Eu3+ mit orange-roter Emission eingesetzt. Beim dreiwertigen Europium beruht diese rote Photo-Lumineszenz auf eigentlich verbotenen, elektronischen Übergängen zwischen zwei f-Niveaus, die scharfe Linien im Lumineszenz-Spektrum erzeugen und nur eine geringe Abhängigkeit der Emissionswellenlänge von den umgebenden Ionen zeigen. Der 5D0?7FJ – Übergang in Lumineszenz-Spektren erlaubt eine Aussage über die Symmetrie des Eu3+-Ions, was für die Strukturaufklärung von großem Interesse ist. Eu3+-Komplexe können auch als Lumineszenz-Sonden für biomedizinische Anwendungen eingesetzt werden. [2] Zweiwertiges Europium hingegen zeigt völlig andere Eigenschaften bezüglich der Lumineszenz. Da die elektronischen Übergänge 4f65d1?4f7 gemäß spektroskopischer Auswahlregeln nicht verboten sind, ergibt sich oft sehr intensive Lumineszenz, welche aber im Gegensatz zum dreiwertigen Europium breitbandig und wegen der Beteiligung von d-Zuständen stark von der lokalen Umgebung der Europiumionen abhängig ist. Dies eröffnet präparativ arbeitenden Chemikern ein weites Feld zur Synthese von neuen Leuchtstoffen mit einer großen Bandbreite an möglichen Emissionswellenlängen. Diese decken das komplette Spektrum des sichtbaren Lichtes ab, von blau (BaMgAl10O17:Eu2+, SrF2:Eu2+), über grün (SrSi2N2O2:Eu2+, SrGa2S4:Eu2+) und gelb (BaS:Eu2+, SrLiH3:Eu2+) zu rot (Ba2Si5N8:Eu2+, SrH2:Eu2+). Größere Wellenlängen treten vor allem bei kovalenten Bindungsanteilen (nephelauxetische Effekte), z. B. in Sulfiden, Nitriden oder Hydriden, auf. [3, 4]

Euro-Geldscheine erstrahlen im UV-Licht bei 254 nm vielfarbig (Abb. 1). Die genaue Zusammensetzung der Lumineszenz-Materialien ist geheim, jedoch konnten niederländische Chemiker das Geheimnis weitgehend lüften. Im Fünf-Euro-Geldschein kommt die rote Farbe von ff-Übergängen des dreiwertigen Europiums, wahrscheinlich in einem Komplex mit ß-Diketonen [5]. Die grüne und blaue Emission hingegen stammen von df-Übergängen von zweiwertigem Europium, vermutlich SrGa2S4:Eu2+ und (BaO)x*6Al2O3:Eu2+.[5] Mit Europium in allen drei UV-aktiven Lumineszenzmaterialien ist die Fünf-Euro-Banknote somit wahrhaft europäisch!

Die anfangs gewählte Bezeichnung Europas als Anhängsel Asiens mag provokant sein, aber in den letzten Jahren hat sich bei der Versorgung mit Lanthanoiden (auch Europium) als Rohstoff in der Tat der Eindruck einer Abhängigkeit von Asien, speziell von China, ergeben. Dabei ist die geographische Verteilung keineswegs auf China beschränkt. Seltene Erden findet man ebenso in Brasilien, USA, Indien, Australien, Kanada, Russland und Südafrika in abbauwürdiger Menge. Die Nachfrage nach Europium steigt seit den 1960er Jahren für die Produktion von Bildschirmen und anderen Leuchtmitteln stark an. Die Preisentwicklung am Weltmarkt führte in der vergangenen Dekade zu einer Monopolstellung chinesischer Lieferanten (98% der Weltproduktion 2011). Die stark angestiegenen Preise führten vor kurzem bereits zur Wiedereröffnung von zuvor wegen der niedrigen Preise chinesicher Erze geschlossenen Minen in Australien und den USA, was den starken Preisanstieg nun wieder deutlich abbremst. Beim Namen „Seltene Erden“, der neben den Lanthanoiden auch Scandium, Yttrium und Lanthan einschließt, entsteht der Eindruck, dass es sich um besonders seltene und damit verständlicherweise teure Elemente handelt. Dies ist jedoch irreführend, denn Cer ist häufiger als Blei und selbst Europium als eines der weniger häufigen Lanthanoide ist immer noch ähnlich häufig wie Silber. Der Name Erden ist ebenfalls irreführend, zumindest für die Elemente, denn Erden sind oxidische Stoffe aus der Natur. Auch bei der Verteilung in der Natur scheint Europium aus der Reihe zu tanzen – zumindest auf dem Erdenmond. Dort kommen Lanthanoide in der KREEP-Schicht (Kalium, Rare Earth Elements, Phosphorus) vor, die auffällig arm an Europium ist. Für diese Europium-Anomalie gibt es noch keine befriedigende Erklärung.

Trotz der faszinierenden Chemie und wichtigen Anwendungen kommt Europium in der schulischen Chemie-Ausbildung oft gar nicht und selbst an der Hochschule nur am Rande vor. Zum Teil dürfte dies eine ungewollte Folge der heute gebräuchlichen Form des Periodensystems der Elemente sein, bei dem die Lanthanoide und Actinoide aus Gründen der Übersichtlichkeit ausgegliedert sind und am unteren Rand ihr Dasein fristen müssen. Eine stärkere Berücksichtigung von Europium im Lehrstoff von Schulen und Hochschulen würde der großen Bedeutung von europiumhaltigen Materialien in unserer Gesellschaft besser gerecht werden.

1

E. Demarçay, Compt. Rend. 1901, 132, 1484-1486

2

K. Binnemans, Coord. Chem. Rev. 2015, 295, 1-45

3

H. A. Höppe, H. Lutz, P. Morys, W. Schnick, A. Seilmeier, J. Phys. Chem. Solids 2000, 61, 2001-2006

4

N. Kunkel, A. Meijerink, H. Kohlmann, Phys. Chem. Chem. Phys. 2014, 16, 5873-58754807-4813

5

J. F. Suyver, A. Meijerink, Chemisch Weekblad 2002, 98, 12-13

Prof. Dr. Holger Kohlmann

Universität Leipzig, Anorganische Chemie

Das Periodensystem ist ein faszinierendes Ordnungssystem, das die Natur den Elementen gegeben hat. Vor 150 Jahren wurde dieses System erstmals von Wissenschaftlern erkannt. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen und die UNESCO haben das Jahr 2019 daher zum International Year of the Periodic Table of Chemical Elements, dem Internationalen Jahr des Periodensystems ausgerufen. Die Elemente des Periodensystems werden in loser Folge vorgestellt.

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