Bambusbecher – manchmal mehr Schein als Sein

 

Aus unserem Alltag sind sie nicht mehr wegzudenken: Mehrwegbecher aus Bambusfasern lösen immer mehr Einwegbecher ab. Geschirr aus Bambus wird als umweltfreundlich und nachhaltig beworben und soll laut Hersteller „100% biologisch abbaubar“ oder zu „100% aus Bambusfaser“ sein. Doch das ist nachweislich Verbrauchertäuschung, wie das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart in den zurückliegenden Jahren in mehreren Studien belegen konnte. Je nach Hersteller bestehen die Bambusbecher nicht einmal zur Hälfte aus Bambus. Vielmehr werden die Bambusfasern mit einem Kunststoffharz-Bindemittel verfestigt, das nicht biologisch abbaubar ist.

Zumeist handelt es sich dabei um Melamin-Formaldehyd-Harz, das bis zu 60% des Gesamtmaterials ausmachen kann. Das Melaminharz sorgt zwar für eine gute Stabilität des Materials, kann aber bei nicht sachgerechter Verwendung des „Bambus-Geschirr“ sogar für gesundheitliche Nebenwirkungen sorgen. Denn wenn das Geschirr mit säurehaltigen Lebensmitteln, wie Phosphorsäure in Cola oder Fruchtsäuren in Säften, oder mit über 70 °C warmen Speisen und Flüssigkeiten wie Kaffee oder Tee in Kontakt kommt, können aus dem Melaminharz gesundheitlich bedenkliche Mengen an Melamin und Formaldehyd freigesetzt werden. Formaldehyd wird von der EU als krebsverdächtig eingestuft und kann Allergien auslösen. Melamin kann zu Schäden an Blase und Nieren führen, wenn es ins Essen gelangt.

Zahlreiche Studien über „Bambus-Geschirr“

Bereits 2017 veröffentlichte das CVUA Stuttgart die Ergebnisse aus drei Jahren Laborarbeit mit 45 Produkten, die als Bambus-Geschirr beworben wurden. Bei zehn Proben handelte es sich um Gegenstände aus reinem Bambusholz (Holzstücke). Dagegen bestanden 35 der untersuchten Bambus-Geschirrteile bzw. Coffee-to-go-Becher nicht nur aus Bambus und hätten so nicht verkauft werden dürfen. Wiederum fast jeder Dritte davon gab erhebliche Mengen Melamin und/oder Formaldehyd an das Testlebensmittel ab.

Die gesetzlichen Höchstmengen für diese beiden Stoffe wurden teilweise deutlich überschritten [1]. 2018 hat das CVUA Stuttgart erneut Melamingeschirr und Kunststoffgegenstände mit Bambusfasern untersucht und gezeigt, dass in den meisten untersuchten Proben die Eigenschaften des Kunststoffes Melaminharz, z. B. die Hydrolysestabilität, durch die Verwendung des Füllstoffs Bambus negativ beeinflusst werden [2]. Ein weiteres Ergebnis war, dass die Verwendung von Melaminharz mit Bambusfüllstoffen für saure Lebensmittel im Heißkontakt bei der überwiegenden Anzahl der Produkte am Markt nicht geeignet ist. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass spezifische Migrationslimits überschritten werden und dass bei wiederholtem Gebrauch der Gegenstände der Übergang von Melamin und Formaldehyd ins Lebensmittel stetig zunimmt“, schreiben Magdalena Köhler und Malte Glüder vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart in einer kürzlich veröffentlichten Übersicht [3].

Auch andere Studien belegen das Gefährdungspotential von „Bambus-Geschirr“: Stiftung Warentest hatte beispielsweise im Juli 2019 zwölf Bambusbecher getestet, sieben wurden mit „mangelhaft“ bewertet, weil sie unzulässige Mengen an Schadstoffen abgaben, wenn sie mit heißen Flüssigkeiten gefüllt waren [4]. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stellt Bambusbechern kein gutes Zeugnis aus. In einer Stellungnahme von 2019 hält das BfR bei einer langfristigen täglichen Verwendung von „Bambusware“-Geschirr mit besonders hoher Formaldehyd-Freisetzung ein erhöhtes Gesundheitsrisiko für wahrscheinlich. Das BfR empfiehlt daher, keine heißen Speisen oder Getränke aus Melaminharz-Geschirr zu essen oder zu trinken [5].

Trotz Studien gibt es ein Problem

Denn Bambusfasern wurden bisher noch nicht von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertet. Laut einer speziellen EU-Verordnung (VO (EU) Nr. 10/2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen) muss aber die Eignung eines Stoffes für die geplante und vorhersehbare Verwendung belegt sein. Im Falle von mit Bambusfasern gefülltem Melaminharz muss also sichergestellt sein, dass das Endprodukt für die Anwendung geprüft wurde und die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden [6]. Erst im August 2020 wurde von der EU-Kommissions-Arbeitsgruppe „Food Contact Materials“ darauf hingewiesen, dass Bambus als Füllstoff nicht in Anhang I der VO (EU) Nr. 10/2011 gelistet ist, und die damit hergestellten Gegenstände somit gar nicht verkehrsfähig sind. Für derartige Füllstoffe ist eine individuelle Zulassung erforderlich. Die damit hergestellten Produkte selbst sind jedoch weiterhin auf dem Markt. 

Obwohl durch Institutionen wie das CVUA Stuttgart Bambusprodukte seit Jahren untersucht werden, hat sich an der Situation für den Verbraucher also nichts Grundlegendes geändert. „Die überwiegende Mehrheit dieser Produkte weist Mängel auf: So werden beispielsweise Versprechungen des Marketing wie ‚kein Plastik‘ und ‚nachhaltig‘ nicht gehalten. Zudem werden die gesetzlichen Grenzwerte, v. a. für einen Übergang von Melamin, oft überschritten. Es bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission durch eine strenge Einzelzulassung von Naturstoffen als Füllstoff in Kunststoff für den Lebensmittelkontakt eine eindeutige Gesetzesgrundlage schafft“, fassen Magdalena Köhler und Malte Glüder in ihrer Studie die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zusammen [3]. Bis es endlich soweit ist, wird das CVUA Stuttgart weiter Bambusgeschirr untersuchen, um den Verbraucher vor vermeintlich ökologischen Mogelpackungen zu schützen.

Übrigens: Von reinen Bambusprodukten geht keine Gefahr aus. Aber wer auf Nummer sicher gehen will, sollte Mehrwegbecher benutzen, die aus gesundheitlich unbedenklichen Materialien wie Edelstahl, Porzellan, Glas oder auch schadstofffreien und hitzebeständigen Kunststoffen wie Polypropylen bestehen.

Dr. Jörg Wetterau

Labor für Kommunikation, Linsengericht

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