Nanopartikel zur Aktivierung des Immunsystems

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Polymere sind als Materialien (Plastik) allgegenwärtig und sie prägen unser Jahrhundert. Auch im Bereich der Nanomedizin können sie eine neue Rolle einnehmen, z.B. bei der Modulation des Immunsystems.

Was können Nanopartikel in der Nanomedizin?

Nanopartikel finden seit längerem großes Interesse in der Medizin, da sie Wirkstoffverteilungen im Körper verändern. Sie können Wirkstoffe einschließen und damit oft ihren Verbleib im Körper verlängern (Nanopartikel sind ab einer gewissen Größe nicht mehr „nierengängig“), sie können sensible Wirkstoffe (z.B. DNA oder RNA für die Gentherapie) vor einem vorzeitigen Abbau im Körper schützen und sie haben das Potenzial, Wirkstoffe in bestimmte Organe und Gewebe bevorzugt freizusetzen. Aufgrund ihrer Größe reichern sich Nanopartikel speziell in Geweben mit einer „offeneren Vaskularisation“ an. Dazu gehören viele Tumore, aber auch zugängige Lymphknoten sowie Leber und Milz. Da sie sich im Tumor anreichern, wurden Nanopartikel bisher meist nur für die Tumortherapie untersucht.

Was ist eine Immuntherapie?

Wir heutigen Menschen sind gewohnt im Krankheitsfall Medikamente (sprich: chemische Verbindungen) einzunehmen. Aber auch vor der Erfindung von Antibiotika und Virostatika konnten die Menschen Erkrankungen wie Infektionen überstehen. Dafür besitzt der Körper das Immunsystem, das in der Lage ist, eingedrungene Krankheitskeime, aber auch mit Viren befallene Körperzellen zu bekämpfen. Dies macht man sich bei Impfungen zu Nutze (so wie hoffentlich bald bei der Bekämpfung der Covid-19 Ausbreitung). Dabei zielt man auf eine gezielte vorzeitige Aktivierung des Immunsystems mit anschließender Ausbildung eines immunologischen Gedächtnisses ab. Im Gegenzug dazu gehen Erkrankungen oft mit einer vorübergehenden Schwächung des Immunsystems einher.

Der letzte Punkt betrifft auch das Auftreten von Tumorerkrankungen. Man weiß heute, dass tagtäglich zahlreich Zellen entarten, die zu einem Tumor heranwachsen könnten. Im Frühstadium werden diese jedoch vom Immunsystem erkannt und unmittelbar vernichtet. Manchmal können diese mutierten Zellen jedoch auch zu einem Tumor heranwachsen, der dann für den Patienten gefährlich wird. Dort haben Tumorzellen einen Weg gefunden, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Tumorzellen fällt dies vergleichsweise leicht, da es sich bei ihnen um Zellen des eigenen Körpers handelt, die deshalb nicht so schnell als „fremd“ erkannt werden wie externe Pathogene (also Bakterien, Viren oder Parasiten). Dies ändert aber nichts an der generellen Feststellung, dass sich Tumore auch mit dem körpereigenen Immunsystem bekämpfen lassen - ein Befund, der derzeit durch die sehr erfolgreichen Immuntherapien mittels „Check-Point Inhibitoren“ demonstriert wird. Es ist hierbei nur nötig, dass das Immunsystem ausreichend stark und gezielt aktiviert und, im besten Falle gleichzeitig, eine Toleranz des Immunsystems den Tumorzellen gegenüber aufgehoben wird.
 

Warum sind Nanopartikel für die Immuntherapie besonders interessant?

Bei der Aktivierung des Immunsystems können Nanopartikel helfen [1]. Nanopartikel liegen im gleichen Größenordnungsbereich wie viele Pathogene, speziell Viren und Bruchstücke von Bakterien, auf die das Immunsystem natürlicherweise besonders gut und empfindlich reagiert (letztlich hat es sich ja zur Bekämpfung dieser Strukturen entwickelt). Sie können, wie oben schon ausgeführt, mit unterschiedlichen Wirkstoffen beladen werden und ihre Oberfläche ermöglicht nach dem Einbau von Erkennungsstrukturen sogar einen gezielten Transport zu den am wirksamsten Immunzellen (z. B. dendritische Zellen). Darüber hinaus ist es relativ einfach, sie in den Tumor sowie in Lymphknoten und die Milz – als zentrale Organe des Immunsystems – zu dirigieren. 
Dort können sie entweder die Immunantwort gegen den Tumor verstärken oder sie können eine eventuell vorhandene, von Immunzellen im Tumor aktiv ausgehende, Immuntoleranz brechen. Für den letzten Fall ist es dabei nötig, regulatorische und immunsuppressive Zellen im Tumorgewebe anzusprechen.

Welche Nanopartikel werden untersucht?

Als Trägersysteme können hier neben Lipid-basierten Nanopartikel (Liposome oder Lipoplexe) vor allem Polymer-basierte Strukturen zum Einsatz kommen. Darunter fallen Blockcopolymere (Polymermizellen oder Nanogele), polymere Nanokapseln sowie formanisotrope Polymerstrukturen wie molekulare Bürsten oder Nanostäbchen. Sie können mit niedermolekularen Wirkstoffen, mit Peptiden und ganzen Proteinen (Antigenen) oder mit funktioneller DNA oder RNA beladen werden, um das Immunsystem möglichst effektiv zu stimulieren oder eine Immuntoleranz im Bereich des Tumors selbst auszuschalten. 

Beispiele für eine mögliche Translation

Für eine Translation des Potenzials der Nanoträger arbeitet der Sonderforschungsbereiches 1066 in Mainz (SFB1066) eng mit dem TRON (gGmbH an der Unimedizin Mainz) und der Firma BioNTech zusammen. Diese haben das Know-how entwickelt, aus patientenindividuellem Tumormaterial sogenannte Neoepitope, die dem Körper fremd sind, zu identifizieren. Sie sind selektiv für die Zellen des jeweiligen Tumors (also sich von den gesunden Zellen unterscheiden). Die Information für diese veränderten Proteine lässt sich dann in messenger RNA (mRNA) codieren, die bei erfolgreichem Transport (durch Nanoträger) in Immunzellen, diese aktivieren und gleichzeitig das gewünschte Antigen (das Neoepitop) für den speziellen Tumor direkt in der Immunzelle produzieren und in Erkennungsstrukturen transformieren [2]. Dies ist eine Methode, um sehr effektiv eine T-Zellantwort gegen genau dieses Protein hervorzurufen. Die Aktivierung der T-Zellen ist besonders effektiv, um Tumorzellen zu bekämpfen. Nanopartikeln ermöglichen es, die mRNA geeignet zu verpacken und nach intravenöser Gabe gezielt in die lymphatischen Organe zu transportieren (siehe Abb.), wo sie das Immunsystem aktiviert und eine starke und länger anhaltende T-Zell Antwort gegen den Tumor auslöst. 

Aktuelle Forschung

Die Entwicklung von Nanopartikeln zur gezielten Aktivierung des Immunsystems setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen polymerchemisch arbeitenden Gruppen mit Wissenschaftlern der Pharmazie und der Medizin voraus [1]. Solche Arbeiten sind nur in einem breit gespannten Team von Wissenschaftlern möglich wie z. B. im SFB1066. 
Unter chemischen Aspekten bietet dabei der Forschungs-Campus in Mainz (Naturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das Max-Planck Institut für Polymerforschung) eine breite Palette von unterschiedlichen Nanopartikeln, die mit niedermolekularen Wirkstoffen, mit Peptiden und ganzen Proteinen (Antigene) oder mit funktioneller DNA oder RNA beladen werden können. Experimente zur Stimulierung des Immunsystem oder zur Aufhebung der Immuntoleranz werden dann an der Universitätsmedizin Mainz in verschiedenen Studien durchgeführt. 
 

Autor: Prof. Dr. Rudolf Zentel (Universität Mainz) für den Vorstand des SFB 1066 (M. Diken, S. Grabbe, K. Landfester, L. Nuhn, D. Schuppan, R. Zentel)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh

Weitere Informationen zum Sonderforschungsbereich 1066.

Literatur

[1] (Editorial) Nanoparticles and the Immune System: Challenges and Opportunities Stephan Grabbe, Katharina Landfester, Detlef Schuppan, Matthias Barz, Rudolf Zentel, Nanomedicine 11, 2621 - 2624 (2016); DOI: 10.2217/nnm-2016-0281 (open access).

[2] Beispiele für eine mögliche Translation: Systemic RNA delivery to dendritic cells exploits antiviral defence for cancer immunotherapy. Kranz LM, Diken M, Haas H, Kreiter S, Loquai C, Reuter KC, Meng M, Fritz D, Vascotto F, Hefesha H, Grunwitz C, Vor

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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