Nachwachsende Rohstoffe für die Polymerchemie I

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Unter nachwachsenden Rohstoffen versteht man organische Rohstoffe, die entweder gezielt angebaut werden oder als Rest- bzw. Abfallstoffe in größeren Mengen zur Verfügung stehen. Prinzipiell unterscheidet man eine stoffliche Nutzung, wie hier in diesem Beispiel zur Synthese von nachwachsenden Kunststoffen, und eine energetische Verwertung. Herkömmliche Polymere, auf denen unser modernes Leben in vielen Teilen basiert, werden vorwiegend aus petrochemischen Rohstoffen gewonnen. Da sowohl mit der Synthese1, als auch mit der Entsorgung2 dieser Polymere erhebliche umweltspezifische Probleme einhergehen, wird zunehmend nach nachhaltigeren Alternativen geforscht. Ein Fokus liegt dabei auf nachwachsenden Rohstoffen als Ausgangsprodukte für die Synthese von Monomeren und Polymeren.

Welche nachwachsenden Rohstoffe sind geeignet?

Die wichtigsten chemischen Stoffklassen, die in großen Mengen aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden können und für Anwendungen in der Polymerchemie geeignet sind, sind Kohlenhydrate (Cellulose, Hemicellulose, Stärke, niedermolekulare Kohlenhydrate), Fette und Öle (Fettsäuren mit unterschiedlicher Anzahl und Position der Doppelbindungen, sowie ggf. funktionellen Gruppen, wie z.B. in der Rizinolsäure), Terpene, Proteine und Lignin. In Deutschland wurden 2018 auf ca. 2,4 Millionen Hektar Fläche nachwachsende Rohstoffe angebaut, hauptsächlich für die energetische Nutzung wie z.B. für Biogasanlagen, Biodiesel oder Bioethanol. Industrierohstoffe wurden auf etwa 275 000 Hektar angebaut (in absteigender Reihenfolge: Industriestärke aus Weizen, Körnermais, Kartoffeln; Rapsöl für technische Zwecke; Zuckerrüben für Industriezucker; Arznei- und Färbepflanzen).3 Dieser vergleichsweise geringe Anteil wird insbesondere dazu genutzt sogenannte nachwachsende Plattformchemikalien, also aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnene Grundchemikalien, herzustellen, die für die chemische Industrie besonders relevant sind und in großen Mengen verwendet werden. Diese Plattformchemikalien sind wichtige Bausteine zur Herstellung einer Vielzahl von anderen Grundchemikalien, die z.B. für Monomere in der Polymerchemie verwendet werden.

Einsatzmöglichkeiten

Kohlenhydrate stellen einen gut verfügbaren nachwachsenden Rohstoff dar, von dem der Mensch bisher nur etwa 1 % seines vorhandenen Volumens nutzt und der großes Potenzial zur Synthese von Plattformchemikalien birgt.4 Die vorhandenen Biopolymere, zu denen beispielsweise Stärke oder Cellulose gehören, können direkt als Makromoleküle verwendet werden. Cellulose, wenn sie nicht als Papierrohstoff verwendet wird, wird häufig zunächst modifiziert und findet dann z.B. als Celluloseester oder -ether vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Ester werden beispielsweise in der Textilindustrie als Fasern oder auch für Lacke und als Zigarettenfilter verwendet. Celluloseether finden Anwendung als Klebstoffe wie Tapetenkleister, als Stabilisatoren oder Emulgatoren in Kleb-, Bau-, Textil- und Papierindustrie. Auch Stärke wird bei der Papierherstellung verwendet und zudem als Bindemittel oder Füllstoff eingesetzt. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Makromoleküle zunächst zu depolymerisieren, um Monosaccharide wie Pentosen oder Hexosen zu erhalten, die dann zu wichtigen Plattformchemikalien umgesetzt werden. Aus den erhaltenen Einfachzuckern, wie Glucose oder Fructose, können beispielsweise Milchsäure, Bernsteinsäure oder 2,5‑Furandicarbonsäure hergestellt werden, die direkt polymerisiert werden können, oder auf synthetischem Wege oder enzymatisch zu weiteren Monomeren umgesetzt werden können.5,6 Ein Überblick über die vorhandenen nachwachsenden Rohstoffe und einige ausgewählte Beispiele der daraus hergestellten Polymere findet sich in Teil II.

 

Nachhaltigkeit im Fokus

Für zukünftige Generationen wird die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks immer wichtiger werden. Damit einhergehend ändern sich schon heute die Ansprüche an polymere Werkstoffe. Nachhaltigere Polymere, die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden oder gezielt abbaubar sind, haben es inzwischen zur kommerziellen Anwendung geschafft. Sie werden vorwiegend im Bereich von Verpackungen oder für die Produktion von Fasern verwendet. Die größte Herausforderung für Polymere aus nachwachsenden Rohstoffen besteht darin, wirtschaftlich mit herkömmlichen Polymeren mithalten zu können, die aufgrund der niedrigen Rohölpreise sehr günstig produziert werden können. Dazu müssen neue Methoden entwickelt werden, die es ermöglichen, Ausbeuten zu erhöhen, den ökologischen Fußabdruck weiter zu senken, klimaschädliche Treibhausgase zu binden oder ohnehin vorhandene Abfallprodukte besser nutzbar zu machen. Eine wichtige Herausforderung für eine effizientere und sparsamere Nutzung unserer Ressourcen bleibt, dass die Nutzpflanzen, aus denen die Rohstoffe für nachhaltige Polymere gewonnen werden, nicht mit der Nahrungsmittelversorgung in Konkurrenz treten. Vorteile bieten sich durch eine mögliche dezentrale Bereitstellung und die damit verbundene Unabhängigkeit von Erdöl. Allgemein sollten Ressourcen verwendet werden, die lokal vorhanden sind, wie z.B. Abfallprodukte. Zudem sollten die Lebenszyklen von Produkten verlängert werden.

Autoren: Dr. Katharina S. Wetzel, Prof. Dr. Michael A. R. Meier
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Organische Chemie (IOC) und
Institut für Biologische und Chemische Systeme – Funktionale Molekulare Systeme (IBCS-FMS)
Redaktionelle Bearbeitung: Maren Mielck, GDCh

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Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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