Nachhaltige Polymere gegen den Klimawandel:
Künstliche Huminstoffe

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Huminstoffe sind organische Verbindungen, die sich nahezu überall in unserem Ökosystem befinden, zum Beispiel unter unseren Füßen im Erdboden. Mit ihren Eigenschaften halten sie das Mikrobiom des Bodens aufrecht – und spielen eine wichtige Rolle beim Schutz des Klimas.

Was sind Huminstoffe?

Huminstoffe bzw. Huminsäuren sind natürliche organische Verbindungen, die in Mutterboden, Ozeanen, Flüssen oder kurz: im ganzen globalen Ökosystems verteilt sind [1]. Die vorhandene Menge ist unvorstellbar groß – Selbst wenn man sich auf die obersten Schichten des Bodenhorizontes beschränkt, kommt man auf 1500 * 109 Tonnen [2]. Der Oberboden enthält also deutlich mehr Kohlenstoff als die gesamte Atmosphäre (im Moment 870*109 t, [3]) – und eigentlich ist Humus der wichtigste Mitspieler im globalen Kohlenstoffkreislauf [4], im Wortsinne von der Öffentlichkeit unbeobachtet unter den Füßen liegend.

Huminstoffe sind nicht nur gebundener Kohlenstoff, sondern schaffen es, ein wasserhaltendes, pH- und Redox-gepuffertes Umfeld für das Mikrobiom des Bodens aufrechtzuerhalten. Huminsäuren sind damit auch ein weitgehend vernachlässigtes Polymer mit faszinierenden Eigenschaften, und die Massenskala ist unvorstellbar groß. Deswegen möchten wir im Folgenden ganz nach dem Motto „Faszination Chemie” auf die Chemie und Perspektiven von künstlichen Huminstoffen eingehen, die das Ziel haben, gleichzeitig Bodenfruchtbarkeit zu erzeugen und einen signifikanten Beitrag zur CO2- Bindung aus der Atmosphäre zu leisten. Diese „neue“ Polymerchemie basiert auf landwirtschaftlichen Reststoffen. Die Leistung der resultierenden Polymere in ihrer Anwendung ist aber mit den besten modernen funktionellen Polymeren vergleichbar.
 

Klima retten mit Huminstoffen?

Debbie Barker, die internationale Direktorin des Center of Food Savety, sagte in einer CE&N Coverstory [2]: “We have a huge potential carbon sink below our feet, and we are not taking advantage of it.” Eine nur kleine Änderung des Humin-Gehaltes, auf allen landwirtschaftlichen Flächen angewendet, hat das Potential, den größten Teil der Klimakrise zu lösen. Die sogenannte „4 per 1000”-Initiative der Pariser Klimaschutzkonferenz besagt, dass dafür die Zugabe von 0.4 % Bodenkohlenstoff jedes Jahr ausreiche [2, 5]. In Anbetracht zahlreicher abgewirtschafteter Felder und zusätzlich nicht-fruchtbaren Ödlandes scheint dies nicht schwierig zu sein. 

Ein weiterer wichtiger Teil der Faszination “Huminstoffchemie” ist eine andere Zahl: Die Photosynthese von Landpflanzen bindet global 220 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr [6]. Das entspricht der Aufnahme von 27,8 Promille des atmosphärischen CO2 pro Jahr in absoluten Einheiten. In einem naiv-idealisierten Gedankenexperiment könnte damit das prä-industrielle CO2-Level in nur fünf Jahren erreicht werden – sofern man natürlich sämtliche Biomasse „wegschließt“. Allerdings: Ohne äußeren Eingriff endet nur der kleinste Teil dieses Pflanzen-gebundenen Kohlenstoffs im Boden. Die meiste Biomasse wird metabolisiert und als Methan und CO2 der Atmosphäre zurückgegeben. Die Natur ist mit sich im Gleichgewicht.

Künstliche Hydrothermale Humifizierung

Hier setze jetzt die „künstliche Hydrothermale Humifizierung” (AHA) ein: Abfall und Restbiomasse werden mit einem chemisch-ingenieurwissenschaftlichen Prozess so umgesetzt, dass an allem Mikrobiom vorbei in höchsten Ausbeuten Huminstoffe entstehen, die sich praktisch nicht von Ihren natürlichen Entsprechungen unterscheiden [6]. Die feuchte Biomasse wird mit Base oder Asche versetzt, Sauerstoff wird ausgeschlossenen und die Reaktion wird unter autogenem Druck auf Temperaturen um die 200 °C durchgeführt. In der Sprache der Polymerchemie entstehen so statistische Polykondensate mit Polyelektrolyt/Polyampholyt-Verhalten und einem Polyphenol- oder Polychinon-basierten aromatischen Kern. 

So wurde künstlicher fruchtbarer Schwarzboden hegestellt [7], ansonsten nicht lösliche Phosphatmineralien in Dünger verwandelt [8], Klärschlamm entgiftet und ebenfalls als Dünger verwendet [9], oder sogar „synthetische Bodensysteme“ diskutiert [10]. Dabei überraschen Huminstoffe immer wieder neu. So berichteten Kappler et al. [11]. über Elektronentransportketten in den Sedimenten des Bodensees und beschrieben, dass Huminstoff-reduzierende Stoffe häufiger vorkommen als Eisen-reduzierende, die Kapazität schätzten sie auf ungefähr 0.5 mol Elektronen/ kg. Dies liegt im Bereich eines sehr guten organischen Batteriesystems, d.h. dementsprechend liegt die größte Batterie der Erde auch unter unseren Füßen.

Eine mögliche Klimarettung hängt natürlich nicht nur von der Verfügbarkeit einer neuen Chemie ab, sondern enthält auch agrarwissenschaftliche und politisch-ökonomische Aspekte. Man darf aber zurecht erst einmal von der Chemie fasziniert sein.

Autor: Prof. Dr. Markus Antonietti (Max Planck Institute of Colloids and Interfaces Department of Colloid Chemistry 14476 Potsdam)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh

Literatur

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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