Kunststoff statt Quecksilber im Mund

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Schon sehr früh nutze die Zahnheilkunde Polymere als Werkstoffe. Bereits 1857 wurden Kautschukprothesen für Porzellanzähne verwendet, Ende der 1930er-Jahre nutzte man Polymethylmethacrylat (PMMA) für Zahnprothesen. Heute stellt der 3D-Druck ​​​​​​​dentalen Prothesen bereit. Die Zahnheilkunde profitiert von Polymeren als Material besonders für Füllungskompositen und Schmelz-Dentin-Adhäsiven. Kombiniert man moderne Füllungskomposite mit hochentwickelten Schmelz-Dentin-Adhäsiven, lässt sich verloren gegangene Zahnhartsubstanz restaurieren und somit dauerhaft ersetzen.

Kunststoff statt Amalgam

In den 1950/60er-Jahren forschte man erstmals an Materialien für Zahnfüllungen, die auf Kunstharz basierten. Daraus ging hervor, dass sich Dimethacrylates Bis-GMA (Bisphenol A-Glycidylmethacrylat) als Grundmonomer besonders gut eignet. Darauf basierend konnten die polymerchemischen Grundlagen der modernen Füllungsmaterialien für eine minimal invasive Füllungstherapie systematisch verbessert werden. Heutzutage finden sich Kompositmaterialien (zahnfarbene plastische zusammengesetzte Komponente) anstelle von Amalgam, das Kupfer, Zinn, Silber und Quecksilber enthält, in Zahnfüllungen in Verbindung mit Schmelz-Dentin-Adhäsiven. Diese Füllungen ersetzen verloren gegangene Zahnhartsubstanz.

Moderne blaulichthärtende Füllungskomposite bestehen aus einer Mischung von oberflächenmodifizierten Füllstoffen (ca. 70-85 Massenprozent), wie pyrogener Kieselsäure, dentalen Gläsern und Mischoxiden (SiO2-ZrO2), verschiedenen Dimethacrylaten (ca. 14-29 Massenprozent), einem Photoinitiatorsystem (0,2-0,7 Massenprozent) und geringen Mengen von Additiven, z.B. Stabilisatoren, Farbmittel und optische Aufheller.

Die Füllstoffe bestimmen maßgeblich die Härte und Abrasionsstabilität (Abriebfestigkeit) des Komposits. Die Dimethacrylate hingegen bewirken einen dichten Verbund der Füllstoffpartikel, eine pastenartige Konsistenz des Zahnfüllungsmaterials und ermöglichen dessen blaulichtinduzierte Aushärtung.
Inzwischen Urethandimethacrylate (UDMA) das ursprüngliche Basismonomer Bis-GMA – Sie zeichnen sich durch eine bessere Biokompatibilität aus. Zusätzlich werden noch Monomere zur Verdünnung, z.B. Decandioldimethacrylat, verwendet.

Aushärtung der Zahnfüllung

Das auf Dimethacrylaten basierende Füllungskomposit härtet durch radikalische Polymerisation aus. Blaues Licht initiiert diese durch LED-Betrahlung. Wie lange das Material bestrahlt werden muss, ist in den letzten dreißig Jahren deutlich weniger geworden und hat sich von ursprünglich vierzig auf heute drei Sekunden reduziert.

Dies ermöglichen LEDs mit deutlich höherer Bestrahlungsintensität (statt 400 nun bis zu 3000 mW/cm2) und neue Photoinitiatoren. So entwickelten zum Beispiel Wissenschaftler der Technischen Universität Wien mit dem Photoinitiator Ivocerin® eine neue Generation von monomolekularen Photoinitiatoren für den sichtbaren Bereich. 

Bisher bestand das Photoinitiatorsystem aus einer Mischung von Campherchinon und einem tertiären Amin. Ivocerin®, eine organische Germaniumverbindung, zeichnet sich im Vergleich dazu durch eine deutlich effizientere Radikalbildung, ein ausgezeichnetes Bleichverhalten und sehr gute Biokompatibilität aus. Außerdem konnte damit die Durchhärtungstiefe deutlich erhöht werden, sodass sich Kompositfüllungen schneller legen lassen, was für den Zahnarzt und Patienten von Vorteil ist. 

Bei der Härtung starten die durch Photolyse gebildeten Radikale die Polymerisation der Dimethacrylatmoleküle und ein dreidimensionales Polymernetzwerk bildet sich aus, in dem die Füllstoffpartikel fest eingebunden sind. Dabei entstehen allerdings Spannungen im Komposit. Das liegt vor allem daran, dass die Monomerbausteine im Polymernetzwerk sich näher zueinander befinden als im nichtausgehärteten Zustand – auch Polymerisationsschrumpf genannt. Damit sich aber kein Randspalt zwischen der Kompositfüllung und der natürlichen Zahnhartsubstanz (Zahnschmelz und Dentin) ausbildet, helfen Netzwerk-Modifikatoren und Schmelz-Dentin-Adhäsive. 

Netzwerk-Modifikatoren sind Übertragungsreagenzien, die in der Anfangsphase der Härtung die Gelbildung verzögern und somit Schrumpfungsspannungen reduzieren. Zudem ist das entstehende Polymernetzwerk homogener aufgebaut, was die Bruchfestigkeit des Füllungskomposits verbessert.
 

Schmelz-Dentin-Adhäsive

Damit das hydrophoben Füllungskomposits mit der eher hydrophilen Zahnhartsubstanz auf Dauer verbunden bleibt, ist eine effiziente Haftvermittlung nötig. Seit Anfang der 1950er-Jahre bis in das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wurden die Schmelz-Dentin-Adhäsive systematisch weiterentwickelt. Die Mischungen bestehen aus einer oder mehreren Komponenten: Vernetzermonomere, Lösungsmittel (Ethanol oder Aceton), hydrophile Comonomeren (z.B. 2-Hydroxyethylmethacylat) und Initiatorkomponente. Außerdem enthalten sie ein geeignetes Haftmonomer.

Moderne Schmelz-Dentin-Adhäsive nutzen als wirksame Haftkomponente stark saure Monomere, die in der Lage sind, einerseits die Zahnhartsubstanz gut zu benetzen und mit dem Hydroxylapatit der Zahnhartsubstanz Ionen-Bindungen einzugehen. Andererseits können sich die Haftmonomeren mit den Kompositmonomeren durch Copolymerisation verbinden. So lassen sich Adhäsive mit Phosphonsäuren, wie z.B. das Monomer APA, in Kombination mit einer üblichen Phosphorsäureätzung verwenden. Zeitsparender sind aber selbstätzende Adhäsive, die ohne zusätzliche Phosphorsäureätzung auskommen. Diese beruhen auf Dihydrogenphosphaten, wie z.B. das Monomer BMAPA. BMAPA und der Vernetzer BAM besitzen polymerisationsfähige (Meth)acrylamidgruppen mit deutlich verbesserter Hydrolysestabilität im Vergleich zu Methacrylatgruppen, was sich auch günstig auf die Lagerstabilität auswirken kann.

Autoren: Prof. Dr. Norbert Moszner und Dr. Thomas Hirt (Ivoclar Vivadent AG, Schaan/Liechtenstein)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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