Kleine Partikel
mit großer Wirkung

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Gummi besteht aus sehr langen Fadenmolekülen (Makromolekülen), die durch chemische Reaktionen miteinander verknüpft sind. Durch diese Verknüpfung, auch Vernetzung oder Vulkanisation genannt, entsteht aus einem hochviskosen, unter Wärme fließfähigen Material (Kautschuk) ein elastischer und formstabiler Werkstoff (Gummi).

Was ist Verstärkung?

Reine Gummiwerkstoffe, die ohne Zusatz von Additiven, also nur durch reine Vernetzung hergestellt wurden, sind im Allgemeinen hochelastisch und sehr dehnbar, aber auch sehr weich. Dadurch lassen sich zum Beispiel Gummibänder herstellen, aber kein mechanisch hochbelastetes Bauteil, wie ein PKW- oder LKW-Reifen.

Erst durch den Zusatz moderner funktionaler Füllstoffe können PKW-Reifen hergestellt werden, die unter Standardbedingungen Laufleistungen von 50 000 km und mehr erreichen. Wie ist so eine Leistungssteigerung möglich? Würde man einen fein gemahlenen mineralischen Feststoff (wie zum Beispiel Kreide) einmischen, so würde man so gut wie keine Verbesserung in den Eigenschaften und damit keine „Verstärkung“ feststellen können. Als verstärkende Füllstoffe werden heute vor allem Ruße und Kieselsäuren eingesetzt.

Wie kann man Verstärkung erklären?

Das Geheimnis der Verstärkung erklärt sich vor allem aus den folgenden Hauptfaktoren:

  • Funktionale Füllstoffe bestehen aus sehr kleinen „nanoskaligen“ Partikeln, das heißt, die Partikel weisen einen Durchmesser von 10 bis max. 100 nm auf. Da die Kontaktoberfläche zwischen den Partikeln und dem Kautschuk mit immer kleineren Partikeln immer grösser wird, entstehen nach dem Einmischen in den Kautschuk Kontaktoberflächen von 150 m2 pro Gramm Füllstoff und mehr.

Im Feststoff liegen solche kleinen Partikel nicht isoliert vor, sondern sie werden erst beim Einmischen freigesetzt, in dem größere Agglomerate aufgebrochen werden. Dadurch erhält man kleine Aggregate und auch isolierte sphärische Primärpartikel. Der Mischvorgang, der erhebliche Scherkräfte erfordert und zumeist in Innenmischern durchgeführt wird, nennt man Dispersion:

  • Die Molekülketten der umgebenden Kautschukmatrix werden bei Rußen auf der Füllstoffoberfläche physikalisch gebunden (adsorbiert). Dadurch ergibt sich schon eine relativ starke Anbindung. Bei Kieselsäuren geht man noch einen Schritt weiter: Durch chemische Kopplungsmittel erreicht man eine chemische Anbindung der Kautschukmatrix an die Oberfläche der Füllstoffpartikel.
  • Die Füllstoffaggregate können, je nach Füllstofftyp eine recht zerklüftete, korallenartige oder auch eine eher kompakte Form aufweisen. Diesen Aspekt, den man „Struktur“ nennt, kann man über die Herstellbedingungen steuern. Beim Herstellen der Kautschukmischung wird ein Teil des Polymers in diese „Struktur“, das heißt das Leervolumen der Aggregate, hineingedrückt und steht damit nicht oder nur teilweise für eine elastische Verformung zur Verfügung. Hochstrukturierte Füllstoffe spiegeln damit volumenmäßig einen deutlichen höheren Füllfaktor vor, als das der tatsächlichen Dosierung entspricht.

Technologischer und wirtschaftlicher Nutzen der Verstärkung

Wie schon erwähnt, spielen funktionale Füllstoffe im technisch und wirtschaftlich wichtigsten Gummi-Bauteil, dem Reifen, im Zusammenspiel mit modernen, hochentwickelten Kautschuken eine entscheidende Rolle, vor allem zur Verbesserung des Abriebs und der Bremseigenschaften. In Reifenlaufflächen werden vor allem Füllstofftypen mit geringer Partikelgröße (<100 nm) und „hoher Struktur“ eingesetzt. Die hohe Struktur hilft, im Mischprozess diese sehr kleinen Partikel aufzubrechen und zu verteilen. In Schwingungsdämpfern für Motorlager kommen vor allem „mittelaktive“ Ruße zum Einsatz, das heißt Ruße, die mittlere Partikelgrößen von etwa 500 nm aufweisen. Beim Einsatz von sehr feinteiligen Rußen wäre die Schwingungsentkopplung im Bereich hochfrequenter Schwingungen zu gering. Im Bereich der Profilextrusion, das heißt bei der Herstellung von Fensterprofilen, kommen Ruße mit hoher Struktur zum Einsatz. Hier kommt es darauf an, den effektiven Polymervolumenanteil so gering wie möglich zu halten. Ansonsten würden die Oberflächen der Profile durch Relaxation der Molekülketten rau und rissig werden.

Das Beispiel der Reifen zeigt, dass die Entwicklung und der Einsatz funktionaler Füllstoffe eine Mobilität in dem heute selbstverständlichen Ausmaß überhaupt erst ermöglichen konnte. Die kleinen Partikel leisten in wichtigen Bereichen, zum Beispiel der Sicherheit, der Medizin, der Mobilität, des Schallschutzes, in Sport und Freizeit und vielen mehr einen unverzichtbaren Beitrag zu unserem gewohnten Lebensstandard.

Autor: Dr. Andreas Bischoff, Arlanxeo Deutschland GmbH
Redaktionelle Bearbeitung: Maren Mielck, GDCh

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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