Einführung in die Gruppentransferpolymerisation
100 Jahre Makromolekulare Chemie
Bei der Gruppentransferpolymerisation, einer Spezialform der koordinativ-anionischen Polymerisation, werden Michael-Akzeptoren als Monomere polymerisiert. Hierbei stehen vornehmlich vier verschiedene Katalysatorsysteme zur Verfügung, mit deren Hilfe hochfunktionalisierte Polymere zugänglich sind. Charakteristisch für die GTP sind die präzise Einstellung der Molekulargewichte bis hin zu hohen Molmassen bei sehr schmalen Molmassenverteilungen sowie sehr hohe Reaktionsgeschwindigkeiten. Die Forschung profitiert vor allem davon, dass die GTP eine hochkontrollierte, lebende Polymerisation ist, die Polymerchemikerinnen und -chemikern ein breites Feld zur Synthese von neuartigen, an die gewünschte Anwendung angepasste Hightech-Polymere bietet.[3]
Die Entdeckung der Gruppentransferpolymerisation (GTP) wird Webster et al. zugeschrieben, die im Jahr 1983 unter Verwendung von Silylketenacetalen Methylmethacrylat (MMA) in einer sich wiederholenden 1,4 Addition polymerisieren konnten. Seitdem wurde eine Reihe an Methoden entwickelt, MMA und strukturell verwandte Monomere zu polymerisieren. Zudem hat sich der Rahmen verfügbarer Monomere stetig erweitert und man hat diverse Anwendungen für GTP-Polymere gefunden.[1–3]
Geeignete Monomere
Während in den Anfängen der GTP zunächst MMA und dessen strukturelle Derivate im Vordergrund der Forschung standen, hat sich die Bandbreite verfügbarer Monomere im Laufe der letzten Jahre deutlich erweitert. Zur Gruppe der Stickstoff-enthaltenden Monomere gehören unter anderem N,N-Dimethylacrylamid (DMAA) und strukturell verwandte Acrylamide, 2 Vinylpyridin (2-VP) und 4-Vinylpyridin (4-VP) sowie 2 Isopropenyl-2-oxazolin (IPOx). Weiterhin kann man aus funktionellen Monomeren wie Dialkyl-vinylphosphonaten (DAVP) die entsprechenden Polyvinylphosphonate herstellen oder neuartige, biobasierte Monomere wie beispielsweise α-Methylen-β-butyrolacton (MBL) umsetzen. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, handelt es sich bei den einsetzbaren Monomeren um Moleküle, die über eine Vinylgruppe in Konjugation zu einem Akzeptor-Atom verfügen. Entsprechend handelt es sich um α,β-ungesättigte Verbindungen, die man im Kontext der organischen Chemie auch als 1,4 Michael Akzeptoren klassifiziert. Diese Terminologie wird auch für die GTP übernommen und man spricht von sogenannten Michael-Monomeren. Ihre zugehörige generelle Resonanzstruktur sowie einige wichtige Vertreter zeigt Abbildung 1. Akzeptor-Atome sind meist Sauerstoff oder Stickstoff. In der β-Position der Vinylgruppe kann zudem entweder eine Methylgruppe oder ein Wasserstoffatom gebunden sein, mit Ausnahme von DMAA und DAVP, die hier auf ein Wasserstoffatom limitiert sind.[3–7]
Katalytische Systeme
Im Rahmen der Entdeckung der Polymerisation von MMA mit Silylketenacetalen (SKA) postulierte man noch einen assoziativen Polymerisationsmechanismus mit einer Übertragung der SKA-Gruppe, der auch den Namen Gruppentransferpolymerisation prägte. Allerdings wird inzwischen angenommen, dass diese Polymerisation über einen dissoziativen Reaktionspfad abläuft. Streng genommen handelt es sich bei der GTP also um einen Spezialfall einer koordinativ-anionischen Polymerisation, wobei die Terminologie bis heute besteht. Für die Polymerisation der Michael-Monomere haben sich vier verschiedene Systeme etabliert: die Silylketenacetal-mediierte GTP (SKA GTP), die Seltenerdmetallkatalysierte GTP (REM GTP), Gruppe-4-Metallkomplexe und die Polymerisation mit frustrierten Lewispaaren (FLP GTP). All diese Arten der Polymerisationskatalyse haben gemeinsam, dass sie verschiedene Michael-Monomere in einer sich wiederholenden 1,4 konjugierten Addition über Enolatintermediate polymerisieren. Erwähnenswerte Vorteile der GTP sind hohe Molekulargewichte, niedrige Polydispersitäten und ein lebender Mechanismus ohne Abbruchreaktionen. [3,4,8,9]
Polymere und deren Anwendung
Mithilfe der Gruppentransferpolymerisation ist es möglich, funktionelle Monomere hochkontrolliert zu polymerisieren. Neben den präzise einstellbaren Molekulargewichten bei gleichzeitig sehr geringer Polydispersität, sind unter Ausnutzung des lebenden Charakters Blockcopolymer-Strukturen synthetisch zugänglich. Außerdem kann man über die Synthese geeigneter Katalysatoren gezielt verschiedene Morphologien (Formen) im Polymer konstruieren. Dies führt dazu, dass GTP-basierte Polymere primär in Hightech-Anwendungen wie Redox-Flow-Batterien, optischen Systemen, Dispergenzien, Flammschutzmitteln, nanostrukturierten Oberflächen oder stimuli-responsiven Materialien, hier vor allem im biomedizinischen Kontext, zu finden sind. [3,12–18]
Abbildung 3 zeigt an einigen ausgewählten Beispiele die Anwendungen von GTP-Polymere und die verschiedenen Möglichkeiten zur Funktionalisierung. In diesem Zusammenhang kann das Poly(diethyl-vinylphosphonat) (PDEVP) als Homopolymer oder Blockcopolymer in Verbindung mit Poly(2-vinylpyridin (P2VP) aufgrund der hervorragenden Biokompatibilität in der Biomedizin, z.B. als endgruppenfunktionalisierte Biomolekül-Konjugate (2) oder in Form von temperatur- und pH responsiven Mizellen zur gezielten Wirkstofffreisetzung (5) eingesetzt werden. Klassischere Systeme wie Acrylamide und Methacrylate hingegen weisen eine große Vielfalt synthetisch einfach zugänglicher Derivate auf, so können z.B. für Elektrodenmaterialien redox-aktiv seitenkettenfunktionalisiert werden (1) oder für optisch aktive Materialien stereoregular polymerisiert werden (4). Auch die Synthese biobasierter Polymere kann im Rahmen der GTP realisiert werden, wie am Beispiel des Poly(γ-Methyl-α-methylen-γ-butyrolacton) gezeigt wurde (3). [6,13,16,18,19]
Autoren: M. Kränzlein, A. Schaffer, T. Pehl, Dr. S. Vagin, Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Rieger
(Technische Universität München, WACKER-Lehrstuhl für Makromolekulare Chemie)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh
Literatur
Hier sind die Literaturnachweise zum Beitrag zusammengefasst.
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