Dendrimere – Polymere anders gedacht

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Konzepte aus der Biologie spielen in der Materialforschung zunehmend eine Rolle und spiegeln sich damit auch in den Designkonzepten der Makromoleküle wieder. Dendrimere verdeutlichen, dass das Gebiet der Makromoleküle extrem vielfältig ist und sich ständig weiterentwickelt. Sie prägen wie keine anderen synthetischen Strukturen das Gebiet der Nanomedizin und der synthetischen Biologie.

Spezielle Verzweigung der Moleküle

Im Allgemeinen versteht man unter dem Begriff „Polymere“ lineare Kettenmoleküle, die sich wie weichgekochte Spagetti verknäulen. Betrachtet man allerdings die breite Palette der Kunststoffe auf dem Markt und besonders die polymeren Materialien, die sich noch in der Forschung befinden, erkennt man schnell, dass im Bereich der Polymere viele verschiedene Architekturen bestehen: von leicht zu stark und kurz- zu langketten verzweigt bis hin zu stern-förmiger oder kammartiger Anordnung der Polymersegmente. Insbesondere im Bereich der verschiedenen Polymerharze und –lacke spielt die Verzweigung schon lange eine dominierende Rolle, da diese die Anzahl der funktionellen Endgruppen im Polymermolekül erhöht, somit mehr Möglichkeiten pro Masse zur Aushärtung bereitstellt und die Viskosität herabsenkt –  zwei wichtige Kriterien für die Anwendung.

Ende der 80-iger, Anfang der 90-iger Jahre des letzten Jahrhunderts hat ein ganz spezieller neuer Typ der Verzweigung bei Polymermolekülen hohe Aufmerksamkeit erhalten, die sogenannten „dendritischen“ Polymere – also Makromoleküle, die sich baumartig in jeder Wiederholeinheit verzweigen.[1] Dabei werden zwei Formen unterschieden: die regelmäßig aufgebauten Dendrimere und die den klassischen verzweigten Polymeren deutlich näheren Vertreter, die sognannten hochverzweigten oder hyperverzweigten Polymere. Seitdem haben sich vor allem die perfekt verzweigten Dendrimere als Makromoleküle mit ganz speziellen Eigenschaften in Anwendungen wie Katalyse und insbesondere der Medizin und Diagnostik etabliert [2,3]. 
 

Dendrimere sind Nanostrukturen

Dendrimere sind keine klassischen Polymere, die durch z.B. eine Polymerisation, also eine radikalische Kettenreaktion, aufgebaut werden, sondern sehr große organische Moleküle mit Molmassen im Extremfall bis über 1 Million, die stufenweise aus kleinen Bausteinen hergestellt werden. Dabei kann das Dendrimer-Makromolekül aus einzelnen Segmenten, sogenannten „Dendronen“ mittels eines Kernmoleküls zusammengefügt werden (konvergenter Ansatz) oder von einem Kernmolekül in einzelnen Generationen nach außen hin radial aufgebaut werden (divergenter Ansatz). In jedem Fall ergeben sich sehr definierte makromolekulare Strukturen, die durch die Anzahl der Generationen (I-III in Abbildung 1), das Kernmolekül, die Funktionsgruppen in der Peripherie und das Verzweigungswachstum (Verzweigungsstelle pro Wiederholeinheit (vgl. Abbildung 1)) definiert werden. Der Verzweigungsgrad (DB= degree of branching) ist im Idealfall 100%, d.h. alle existierenden Verzweigungsstellen haben abreagiert. Daraus ergibt sich eine dichte, 3-dimensionale Struktu –, also ein adaptierfähiges Nanopartikel von wenigen Nanometern im Durchmesser (< 10 nm). Durch die Chemie der Gerüststruktur variieren die Makromoleküleigenschaften von flexibel bis hin zu formstabil einstellbar und definieren die Möglichkeit der Einlagerung von kleinen Molekülen im Inneren der verzweigten Struktur. Von besonderer Bedeutung ist die hohe Oberflächenfunktionalität, die vielfältige Möglichkeiten der Modifizierung bietet. Das „Innere“ und „Äußere“ eines Dendrimers kann sich daher chemisch stark unterscheiden, was, neben der nanopartikulären Struktur, den Reiz und das Anwendungspotential der Dendrimere bestimmt. Inzwischen wurden unzählige Dendrimere mit unterschiedlichster Chemie realisiert. Allerdings schaffte es nur eine kleine Anzahl in die Anwendung.

Dendrimere und ihr Anwendungspotential in der Medizin

Obwohl die Dendrimere nur noch wenig mit den klassischen Polymeren gemeinsam haben, bedienen sie ganz spezifische Anwendungsbereiche. Die aufwändige, stufenweise Synthese bedingt, dass Dendrimere von vornherein als spezielle Funktionspolymere diskutiert werden. Für ihre medizinischen Anwendungen sollen kleinste Mengen große Effekte als polymere Therapeutika und Träger von Wirkstoffen hervorrufen. Ihre definierte Chemie und 3-dimensionale Nanostruktur erlauben es, eine definierte Umgebung auf der Nanometerebene mit adaptiven Eigenschaften bereitzustellen. Daher ist gerade der Bereich der Katalyse und insbesondere der Medizin von hohem Interesse. [3-7]
Schon der Chemiker Don Tomalia, ein Pionier der Dendrimere, zog 1990 den Vergleich von Dendrimeren mit biologischen Makromolekülen und Strukturen, in denen die Verzweigung und insbesondere die Multifunktionalität eine bedeutete Rolle spielt. [8] Er prognostizierte den Dendrimeren eine bedeutende Zukunft als biomimetische Strukturen in Therapie und Diagnostik. Heute wird unter dem Begriff Theranostik, eine Kombination aus Therapie und Diagnostik für multifunktionale Strukturen in der Nanomedizin zusammengefasst.

Wie schon oben erwähnt, kann man für Dendrimere eine innere Umgebung definieren, in der sich Wirkstoffe spezifische einlagern können. Diese Umgebung ist allerdings flexibel und kann sich je nach Lösungsmittel und physikalischere Wechselwirkungen verformen. So kann sich ein Dendrimer in der Struktur den eingelagerten Wirkstoffen anpassen oder auf Veränderungen in der Umgebung reagieren. Von besonderer Bedeutung ist aber, neben der verzweigten Nanostruktur, die Oberflächenchemie. Die hohe Oberflächenfunktionalität eines Dendrimer-Makromoleküls erlaubt es, die Wechselwirkungen an der Oberfläche unabhängig von der im Inneren zu steuern. Somit kann z.B. eine dichte Funktionsschale von Zuckermolekülen (Glycodendrimere) [7] oder Polyethylenglykol (PEG)-Ketten um einen dendritischen Kern aufgebaut werden. Damit kann man eine erhöhte Biokompatibilität der Dendrimere erreichen. Dies ist für eine Anwendung als Wirkstoffträger oder als Therapeutika für in-vitro und in-vivo Untersuchungen unabdingbar. Dieses „Maskieren“ führt z.B. dazu, dass die Dendrimere im Blutkreislauf nicht als Fremdkörper identifiziert und somit nicht herausgefiltert werden. Erst dadurch erreichen sie den therapeutisch anvisierten Bereich im lebenden Organismus. Aufgrund der extrem hohen Funktionalität können zudem Targeting-Einheiten oder Fluoreszenzmarker an der Oberfläche angebracht werden. Daraus lassen sich Organe oder Tumore mit Wirkstoffen einfacher adressieren. Gleichzeitig ist auch die Verteilung des Wirkstoffträgers im Körper bzw. die Anreicherung im Tumorgewebe über Bildgebungsverfahren möglich. 

Heute haben sich einige Dendrimere bzw. dendritische Polymere in der medizinischen Anwendung etabliert, meist auf Basis eines Polyamin- oder Polyether-Gerüstes. Zudem untersucht man unzählige von ihnen auf mögliche Nutzung. Dabei spielt die Anwendung als Wirkstoffträger für die Krebstherapie eine große Rolle. Zunehmend werden Dendrimere  auch aufgrund ihrer Multifunktionalität und Ausbildung gezielter biologischer Wechselwirkungen therapeutisch wirksam konzipiert.[9] Mit diesem Eigenschaftsprofil sind Dendrimere viel diskutierte Forschungsobjekte in der Theranostik und der personalisierten Medizin.[10] Als eine der ersten Anwendungen, gerade für die sogenannten Polyamidoamin-(PAMAM)-Dendrimere, etablierte sich die Gentherapie, welche die sogenannte aktivierte Dendrimere als Transfektionsagenzien nutzt (z.B. SuperFect Transfection Reagent, von QIAGEN). Das kationische Gerüst des Dendrimers ist hervorragend geeignet mit RNA und DNA zu komplexieren und diese effektiv in Zellen zu übertragen [11], eine Strategie, die aktuell auch in der Immunotherapie ausgenutzt werden soll. 

Autoren: Prof. Dr. Brigitte Voit und Dr. Dietmar Appelhans (Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e.V.)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh
 

Nachweis Titelbild: „Dendrimere als Therapeutika im Blutkreislauf“: Dietmar Appelhans, Barbara Klajnert-Maculewicz, Anna Janaszewska, Joanna Lazniewska and Brigitte Voit, Chem. Soc. Rev. 2015, 44, 3968 - 3996 “Dendritic glycopolymers based on dendritic polyamine scaffolds: view on their synthetic approaches, characteristics and potential for biomedical applications” (Published by The Royal Society of Chemistry) (bitte beachten, dass die Darstellung der Dendrimere nicht massstabsgerecht gegenüber den Thrombozyten (Blutplättchen) ist).

Literatur

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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