Alleskönner Polyisobutylen: Von Kaugummi bis Schmierstoff

 

100 Jahre makromolekulare Chemie

Polyisobutylen (Polyisobuten) war zunächst nur ein Nischemprodukt. Doch heute überzeugt es die Industrie als Alleskönner. So nutzt die Lebensmittelindustrie das Polyisobuten, um Kaugummi herzustellen. In Verbrennungsmotoren sorgt das Polymer dafür, dass wir weniger Kraftstoff verbrauchen. 

Anfänge des Polyisobutens

Polyisobuten (Polyisobutylen) zählt zu den wichtigsten Polyolefinen. Hermann Staudinger konnte die Existenz von Makromolekülen zum ersten Mal nachweisen. Einer, der das Potenzial der neuen Verbindungsklasse früh erkannte, war Michael Otto. Ab Mitte der 1920er-Jahre begann er mit seinen Forschungsarbeiten zur Polymerisation von Isobuten, mit denen er maßgeblich zum Erfolg von Polyisobuten beitrug. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei I.G. Farben in Ludwigshafen am Rhein (heute BASF SE) veröffentlichte er im Jahr 1931 sein erstes Patent zum Thema Polyisobuten.[1] Dieses beschrieb die Herstellung von Polyisobuten mittels kationischer Polymerisation von Isobuten in Gegenwart von Bortrifluorid bei tiefen Temperaturen. Die Arbeit von Otto legte den Grundbaustein für die Kommerzialisierung von Polyisobuten, das I.G. Farben ab 1938 unter dem Namen „Oppanol®“ produzierte.

Industrielle Herstellung

In seinen Anfängen war Polyisobuten ein Nischenprodukt, das unter anderem für die Herstellung von Heftpflaster, elektrischen Isoliermaterialien oder Abdichtungen verwendet wurde. Doch spätestens mit dem „Kunststoffboom“ der 1960er-Jahre entwickelte sich Polyisobuten zu einer der wichtigsten Polyolefinklasse mit einem breiten Spektrum an Einsatzbereichen. Heute stellen einige Industrieunternehmen Polyisobuten her, darunter BASF, Lubrizol, TPC, Oronite und Daelim. Die jährliche Produktionskapazität für Polyisobuten beträgt ca. 1.200 kt (Stand 2018).[2]

Das Polymer wird in drei Klassen unterteilt: niedermolekulares Polyisobuten, mittelmolekulares Polyisobuten und hochmolekulares Polyisobuten. Obwohl das Verfahren für die Produktion von Polyisobuten in den letzten neunzig Jahren erhebliche Neuerungen erfahren hat, besitzt es viele Gemeinsamkeiten mit seiner Ursprungsform. Die großtechnische Produktion von niedermolekularem und mittelmolekularem Polyisobuten erfolgt heute meistens im Rahmen eines kontinuierlichen Polymerisationsprozesses.[3] Dieser erfordert tiefe Temperaturen, die mithilfe eines Kühlaggregats erreicht werden. Die Herstellung von hochmolekularem Polyisobuten basierte ursprünglich auf dem sogenannten BASF Bandverfahren. Bei diesem Prozess wurden Ethen und Isobuten in dichten Strahlen auf ein Band aufgetragen und mit einem Katalysator versetzt. Das Verdampfen von Ethen sorgte für ausreichende Kühlung der Polymerisationsmischung. Heute dient dazu alternativ ein kontinuierlich betriebener Polymerisationskessel. Die Polymerisation findet dabei in einem Lösungsmittel statt, Katalysator ist meistens Aluminiumtrichlorid.
 

Alleskönner

In Sachen Anwendung ist Polyisobuten ein „Allrounder“. Mit der Kombination seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften findet das Polymer in zahlreichen Gebieten Einsatz. 

Die wohl bekannteste Anwendung für das mittelmolekulares Polyisobuten ist die Herstellung von Kaugummi. Bei dieser profitiert die Lebensmittelindustrie von der Elastizität des Polyisobutens. Zudem ist das Polymer toxikologisch unbedenklich. 

Die mit Abstand wichtigste Verwendung ist die Herstellung von Schmierstoff- und Kraftstoffadditiven. Hier profitiert die Industrie vor allem von der Widerstandsfähigkeit des Polyisobuten gegenüber thermischem und oxidativem Stress und davon, dass sich das Polymer mit hydrophoben (wasserabweisenden) Substanzen mischt. Egal ob als Grundöl, Verdickungsmittel oder Dispergiermittel – in fast jedem Verbrennungsmotor auf der Welt trägt Polyisobuten zu niedrigerem Kraftstoffverbrauch bei gleichbleibender Leistung bei. Zusätzlich sinkt auch der Schadstoffausstoß. Auch in Abdichtungsmaterialien wie Isolierglasfentern kommt Polyisobuten vor sowie bei der Herstellung von Solaranlagen. Hier nutzt man das mittel- und hochmolekulare Polyisobuten, Oppanol®, das vor allem undurchlässig für Gase ist und eine hohe Beständigkeit gegenüber UV-Strahlen aufweist. 
 

Weitere Beispiele sind unter anderem die Herstellung von Lebensmittelverpackungen, Emulgatoren für zivile Sprengstoffe, elektrische Isoliermaterialien im Bereich Elektronik, Wachse für Surfbretter und schalldämpfende Materialien im Automobilbau.

Aspekt der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz

Obwohl Polyisobuten in einer Vielzahl von Gebieten genutzt wird, muss es sich dem aktuellen Trend der Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit anpassen. Besonders der Vormarsch alternativer Antriebssysteme für Automobile wird die Öl- und Schmierstoffindustrie vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellen. Die Entwicklung neuer Methoden für die Produktion von funktionalem Polyisobuten kann hier neue Perspektiven schaffen. Diese Strategie würde erlauben, die Performance des Polyolefins in bestehenden Anwendungen zu verbessern und neue Einsatzgebiete zu erschließen.

Ein zukunftsorientierter Ansatz ist die großtechnische Herstellung von Polyisobuten aus erneuerbaren Ressourcen. Das erforderliche Monomer wird dabei durch Dehydrierung von biobasierten Isobutanol hergestellt. Pionierarbeit in diesem Bereich leisteten bereits die Firmen Lanxess und Gevo.[4] Alternativ dazu kann Isobuten aus Bionaphtha hergestellt werden. Welche Neuerungen bei der Herstellung, Funktionalisierung und Einsatzgebieten von Polyisobuten sich letztendlich durchsetzen werden, kann noch nicht vorhergesagt werden. Hingegen kann man mit großer Gewissheit davon ausgehen, dass das Interesse an Polyisobuten und seinen „Downstream“-Derivaten weiterhin hoch sein wird. Und das Polyisobuten uns weiterhin im Alltag begleitet.

Autor: Paul Lederhose (BASF SE)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh

[1] F.B. Seymour (1986). The World’s Most Widely Used Polymers. Springer, Netherlands.

[2] J. Caitlin (2019). The Notorious PIB. Lubes'n'Greases, 20-23.

[3] H. Mach, P. Rath (1999). Highly Reactive Polyisobutene as a Component of a New Generation of Lubricant and Fuel Additives. Lubrication Science, 175-185.

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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