Aerogele – Polymere mit besonderen Eigenschaften

 

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Aerogele sind hochporöse Materialien mit einem Feststoffanteil, der auf ein Minimum von 2 Vol.-% und weniger reduziert werden kann. Die Materialklasse vereint aufgrund ihrer nanoporösen Netzwerkstruktur eine Kombination von Materialeigenschaften, die von keinem anderen Material bekannt ist.

In der Regel werden Aerogele über einen Sol-Gel-Prozess hergestellt. Ein für Chemiker simpler Prozess, der aus den beiden Reaktionsschritten Hydrolyse und Polykondensation besteht und über den pH-Wert gesteuert wird. Eine anschließende schrumpfungsfreie Trocknung überführt den nassen Gelkörper zum Aerogel. Der Materialauswahl sind nahezu keine Grenzen gesetzt, denn aus allem was sich gelieren lässt, kann ein Aerogel hergestellt werden. Entsprechend gibt es sowohl anorganische (Metalloxide, Metalle, Kohlenstoff und viele weitere) und organische (Polyurethane, Polyamide, Polyimide, Harzsysteme und andere) sowie biopolymerbasierte (Polysaccharide (Zellulose, Alginate, Chitin, Chitosan und weitere), Proteine…) Aerogele.

Die Materialklasse der Aerogele zeichnet sich durch eine einzigartige Kombination von Eigenschaften aus. Aerogele sind extrem leicht, da sie eine besonders niedrige Rohdichte besitzen. Sie können superisolierende Dämmeigenschaften aufweisen mit Wärmeleitfähigkeiten unterhalb von 0,020 W/(mK). Aerogele besitzen zudem sehr hohe spezifische Oberflächen, die im Fall von Kohlenstoff-Aerogelen 3000 m²/g leicht übersteigen. Die mechanischen Eigenschaften reichen von steif-spröde bis hin zu weich-elastisch. Alle Eigenschaften lassen sich über den Herstellungsprozess beeinflussen und anwendungsspezifisch optimieren.

In den letzten Jahren wurden Aerogele intensiv untersucht und weiterentwickelt. Die ersten organischen Aerogele wurden bereits von S.S. Kistler in den 1930er Jahren hergestellt [1]. In den 1980er Jahren forschte R. W. Pekala an organischen Aerogelen, die über eine mittels Natriumcarbonat (C) katalysierte Polykondensation von Resorcin (R) und Formaldehyd (F) in wässriger Lösung hergestellt werden [2]. Diese zählen heute zu den am häufigsten untersuchten und am besten verstandenen Aerogelen und dienen als Ausgangsstoff zur Herstellung von Kohlenstoff-Aerogelen, denn die Struktur von RF-Aerogelen kann unter Inertgasatmosphäre bei 800-1100°C in eine nahezu reine, amorphe Kohlenstoffstruktur umgewandelt werden.

Anwendungsbereiche für Kohlenstoff-Aerogele

Wir erwarten, dass in Zukunft Kohlenstoff-Aerogelen in verschiedenen Anwendungen eine große Rolle spielen werden und ihre Synthese aus dem Labor ins Technikum und darüber hinaus in den industriellen Produktionsmaßstab übertragen wird.

Für die Marktfähigkeit spielen bei der Aufskalierung Rohstoffpreise und Prozessführung eine entscheidende Rolle.

Kohlenstoff-Aerogele als Kernsandadditiv in Gießereien besitzen großes Potential [3], denn die Gießereifehler werden minimiert und so die Gussteilqualität verbessert. Die im Gießprozess entstehenden Emissionen toxischer Gießgase können über die Ad- und Absorption dieser an den Aerogelen weitgehend reduziert werden. Der heute notwendige Prozess des Schlichtens der Sandkerne kann sogar eingespart werden.

Auch bieten Kohlenstoff-Aerogele neue Möglichkeiten als Kathodenmaterialien in Batterien der nächsten Generation. Beispielsweise bietet die poröse Struktur des Kohlenstoff-Aerogels erstmals nachhaltige Möglichkeiten zur Einbettung des Aktivmaterials in Metall-Schwefel-Batterien durch die gezielte Einstellung der Porengröße im Bereich weniger Nanometer und darunter [4].

Diese beiden Anwendungen stellen unterschiedliche Anforderungen an die dreidimensionale nanoskalige Porenstruktur der Aerogele, die mit Parametern definiert wird wie Vernetzungsgrad, Porengrößenverteilung, Porenvolumen und spezifische innere Oberflächen, dem amorphen Charakter und daraus resultierende elektrische Leitfähigkeiten sowie thermische und mechanische Eigenschaften.

Synthese

Die poröse Netzwerkstruktur der Kohlenstoff-Aerogele ist alles entscheidend und die Herstellung der RF-Aerogele als Vorstufe bestimmend, so dass aus dem simpel erscheinenden Sol-Gel-Prozess eine voll zu kontrollierende chemische Synthese wird.

Zu den wichtigsten Syntheseparametern gehören das molare Verhältnis der Edukte, der pH-Wert, die Temperatur sowie die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit. Das Resorcin-zu-Wasser-Verhältnis (R/W) beeinflusst stark die Eigenschaften der RF-Aerogele. Ein hoher Resorcingehalt führt zu einer höheren Wärmeleitfähigkeit über die Feststoffphase, einer höheren Dichte und einem höheren Elastizitätsmodul. Gleichzeitig kommt es zur Reduktion der spezifischen Oberfläche und des Porenvolumens.

Die Untersuchungen im Hinblick auf pH-Wert-Änderungen zeigen, dass eine Erhöhung des pH-Wertes eine Vergrößerung der spezifischen Oberfläche verursacht. Außerdem hat der pH-Wert einen Einfluss auf die Gelationszeit, am schnellsten gelieren Gele mit pH-Wert unter 4.

Ebenso beeinflusst die Katalysatormenge die spezifische Oberfläche. Der Grund dafür ist die Veränderung des pH-Wertes mit Katalysatorgehalt. Bei hohen pH-Werten wird die Ausbildung einer feinen Struktur mit nanometerkleinen Teilchen bevorzugt, was wiederum die spezifische Oberfläche erhöht.

Auch die Temperatur der Synthese und des Sol-Gel-Prozesses kann die Mikrostruktur beeinflussen. Geringe Temperaturen führen zu langen Gelationszeiten und sorgen für zusätzliches Wachstum der Teilchen, die dann eine grobkörnige Struktur bilden. Solche Strukturen weisen in der Regel eine kleine Oberfläche auf.

Die Rührzeit bei Raumtemperatur kann in Einzelfällen auch eine Veränderung der Mikrostruktur hervorrufen. So wird beim Einsatz von Natriumkarbonat als Katalysator ein Karbonatpuffer gebildet, welches das Absinken des pH-Wertes unterdrückt und die Additionsreaktion begünstigt. Solche RF-Gele bestehen meistens aus kleineren Partikeln, im Vergleich zu Gelen mit kürzeren Rührzeiten.

Die nassen Gele werden nach der Gelation definiert gealtert, um eventuell vorhandene Monomere und Oligomere reagieren zu lassen und Ostwaldreifung zu ermöglichen, so dass eine Verstärkung der Netzwerkstruktur stattfinden kann. Je nach Porengröße werden unterschiedliche Trocknungsmethoden favorisiert. Um Schrumpfung des Netzwerks zu vermeiden, benötigen Aerogele mit kleinen Poren eine schonende Trocknung. Hier wird eine Trocknung im Hochdruckautoklaven mittels Extraktion im überkritischen CO2 durchgeführt. Dazu muss die Porenflüssigkeit, Wasser, durch ein geeignetes unpolares Lösungsmittel, hier Aceton, ersetzt werden.

Netzwerke unterschiedlicher RF-Aerogele

Auf der Abbildung 1 sind Netzwerke verschiedener Resorcin-Formaldehyd-Aerogele dargestellt. Zu erkennen sind Poren und Partikel unterschiedlicher Form und Größe, welche sich bei gezielt eingestellten Syntheseparameter ausgebildet haben. Die Unterschiede in der Mikrostruktur beeinflussen mechanische und isolierende Eigenschaften der Aerogele sehr stark. Große, miteinander gut verknüpfte Teilchen, wie auf dem linken Bild, sorgen für mechanisch Stabilität des Netzwerks. Solche RF-Aerogele sind steif und hart, sie besitzen aufgrund der Teilchengröße kleine innere Oberflächen. Das mittlere Bild zeigt ein Netzwerk eines elastisches RF-Aerogels, dieses lässt sich aufgrund großer Poren und kleiner Teilchen komprimieren, ohne dabei zerstört zu werden. Solche Strukturen bilden sich in verdünnten Lösungen bei einem bestimmten pH-Wert aus. Ein sehr feines Aerogelnetzwerk ist auf dem rechten Bild zu sehen. Dieses Aerogel besteht aus nanometerkleinen Teilchen und Poren, es besitzt niedrige Wärmeleitfähigkeit und ist sehr leicht. Seine innere Oberfläche ist aufgrund kleiner Teilchen relativ groß.

Für die Anwendungen als Kernsandadditiv und Kathodenmaterial müssen die RF-Aerogele mit Hilfe einer thermischen Behandlung in Kohlenstoff überführt werden. Diese Karbonisierung kann sowohl in Inertgas als auch im Vakuum durchgeführt werden. Durch die Thermolyse kommt es zur Entfernung sämtlicher Heteroatome und demzufolge zu einem Massenverlust von etwa 50 %. Es werden neue Mikroporen gebildet und die Makroporen reduziert. Ebenso findet eine Verkleinerung der Feststoffstruktur statt, so dass es zu einer drastischen Vergrößerung der Oberfläche kommt. Gezielt können Ätzmittel eingesetzt werden, die ebenfalls die Porenstruktur und Porengrößenverteilung massiv beeinflussen.

Die Vielfalt der organischen Aerogele ist groß. Im Bereich der RF-Aerogele, die nur einen kleinen Ausschnitt darstellen können bereits über kleine Änderungen der Syntheseparameter große Veränderungen im nanoporösen Netzwerk erzielt werden. Jede technische Anwendung erfordert eine Optimierung. Mit Hilfe des Know-hows, welcher Parameter welchen Einfluss auf die Netzwerkstruktur hat, gelingt die Optimierung. In jüngster Zeit werden Modellierung und Simulation für Aerogele vorangebracht, so dass in Zukunft auch ein Reverse Engineering praktikabel sein wird.

Autorinnen: Prof. Dr. Barbara Milow, Dr.-Ing. Marina Schwan,
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V, Institut für Werkstoff-Forschung,  WF-AEG, Köln
Redaktionelle Bearbeitung: Maren Mielck, GDCh

Literatur:

1

Kistler SS (1931) Coherent Expanded Aerogels and Jellies. Nature 127: 741.

2

Pekala RW (1989) Organic aerogels from the polycondensation of resorcinol with formaldehyde. J. Mater. Sci. 24: 3221.

3

Ratke L, Milow B (2009) Gießereikerne mit verbesserten Entkernungseigenschaften EP2193858B1

4

Milow B, Schwan M, Wagner N, Warth F (2018) Elastisch verformbare Kohlenstoffaerogele als Matrixmaterial in Schwefelelektroden. DE 102018123285.3

5

Schwan M, Naikade M, Raabe D, Ratke L (2015) From hard to rubber-like: mechanical properties of resorcinol–formaldehyde aerogels. J. Mater. Sci. 50: 5482. Doi:10.1007/s10853-015-9094-x

6

Schwan M, Tannert R, Ratke L (2016) New soft and spongy resorcinol–formaldehyde aerogels. J. Supercrit. Fluids 107: 201. Doi:http://dx.doi.org/10.1016/j.supflu.2015.09.010

7

Tannert R, Schwan M, Ratke L (2015) Reduction of shrinkage and brittleness for resorcinol-formaldehyde aerogels by means of a pH-controlled sol–gel process. The Journal of Supercritical Fluids 106: 57. Doi:http://dx.doi.org/10.1016/j.supflu.2015.06.021

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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