100 Jahre Makromolekulare Chemie – Eine vielseitige Stoffklasse
Vor 100 Jahren beschrieb der Chemiker Hermann Staudinger erstmals Makromoleküle, aus denen Polymere bestehen. Seitdem hat sich die Stoffklasse stets weiterentwickelt. Eine Unzahl von wissenschaftlichen Durchbrüchen führte zu einer weitverbreiteten industriellen Anwendung von Polymeren. Dennoch steht das Feld vor vielen Herausforderungen und wird sehr wahrscheinlich wesentlich dazu beitragen, aktuelle sowie zukünftige gesellschaftliche und technologische Fragen zu bewältigen.
Entdeckung einer neuen Stoffklasse
Im Jahr 1920 diskutierte und definierte der deutsche Chemieprofessor Hermann Staudinger erstmals eine damals vollkommen unbekannte neue Stoffklasse: die Makromoleküle.1 Diese sind uns auch als Polymere (oder Kunststoffe) bekannt. Sie zeichnen sich durch einzigartige Eigenschaften aus, die durch die Verbindung einer Vielzahl von kleineren Einheiten entstehen.
Die Entdeckung Hermann Staudingers war zunächst umstritten, im Laufe der Jahre wurde sie aber zunehmend akzeptiert. Schließlich erhielt Staudinger im Jahr 1953 den Nobelpreis für seine Arbeit zu den Makromolekülen.
Die Industrie verwendete Polymere hingegen schon wesentlich früher. So erforschte zum Beispiel der Reifenhersteller Goodyear bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Vulkanisation von Gummi, das schon bald danach kommerziell verfügbar war. Im Jahr 1910 wurde bereits ein Polymer, unter dem Namen Bakelit bekannt, industriell produziert und verkauft.
Weitere wichtige Meilensteine der Polymerwissenschaften
1926: Entdeckung des Polyvinylchlorids (PVC)
1930: BASF beschreibt die Entwicklung von Polystyrol
1933: Plexiglas wurde durch Röhm entdeckt
(https://faszinationchemie.de/chemie-ueberall/news/was-ist-eigentlich-plexiglasr)
1952/53: Ziegler-Natta-Katalysatoren
1957: Entdeckung der Polycarbonate
1975: Erforschung von Kevlar (schusssichere Westen)
(https://faszinationchemie.de/chemie-ueberall/news/kevlarrnbsp-eine-kunstfaser-die-leben-rettet)
1986: Erste Solarzelle basierend auf Polymeren
Heute sind Polymere aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie ermöglichen aufgrund ihrer variablen Eigenschaften eine Vielzahl von Anwendungen und so finden wir sie fast überall: Von Schuhen über Handys bis hin zu Autos. Ohne die makromolekulare Chemie wäre unser Leben, wie wir es heute kennen, kaum vorzustellen.
Was sind Polymere?
Die IUPAC (International Union of Pure and Applied Science) definiert Polymere wie folgt:2
„Ein Molekül mit hoher relativer Molekülmasse, dessen Struktur im Wesentlichen die mehrfache Wiederholung von Einheiten umfasst, die tatsächlich oder konzeptionell von Molekülen mit niedriger relativer Molekülmasse abgeleitet sind.“ Relative hohe Molmasse bedeutet hierbei, dass das Hinzufügen oder Entfernen einer Einheit die Eigenschaften des Polymers nicht mehr ändert.
Generell sind Makromoleküle (Riesenmoleküle) aus mehreren kleinen Einheiten aufgebaut, die eine große Kette (Polymerkette) oder andere Strukturen (z.B. Netzwerk, Dendrimeren etc.) bilden. Wenn die Polymerkette aus der gleichen Sorte an Einheiten besteht, gehört sie zu den Homopolymeren. Copolymere hingegen bestehen aus mindestens zwei verschiedenen Einheiten, die sich wiederholen. Hier unterscheiden sich die Copolymere zum Beispiel zwischen alternierende und statistischen Copolymere oder auch Blockcopolymere. Hierbei können ganz verschiedene Eigenschaften durch die Anordnung und den Anteil der beiden Einheiten erzielt werden.
Aktuelle Trends in der Polymerforschung
Die Polymerforschung und -industrie in Deutschland sowie weltweit lebt seit Beginn der Nutzung von Polymeren von der stetigen Weiterentwicklung und Erforschung neuer Substanzen, Eigenschaften und Anwendungen. Neben grundsätzlichen Fragestellungen zur Polymerisation, Herstellung und Eigenschaften versuchen Forscher auch immer wieder Lösungen für aktuelle Probleme der Menschheit zu finden. Dabei sind Polymere häufig ein Schlüssel. So ist es nicht verwunderlich, dass Polymere in der Energieerzeugung (z.B. in modernen flexiblen Solarzellen) oder der Energiespeicherung (z.B. zur Stabilisation als Feststoff-Elektrolyt in zukünftigen Lithium-Batterien) untersucht werden. Aber auch reine polymerbasierte Batterien sind mittlerweile bekannt und kommen ohne seltene (und teilweise giftige) Metalle aus.3
In der Medizin halten Polymere seit Jahren Einzug und konnten die moderne Behandlung von Krankheiten verbessern. So sind zum Beispiel Tabletten und Kapseln mit Polymeren überzogen, die dafür sorgen, dass die Medikamente an der richtigen Stelle im Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden. Die moderne Forschung konzentriert in diesem Bereich vor allem auf die Entwicklung von Medikamenten, die an die richtige Stelle im Körper geleitet werden, um verschiedenste Krankheiten, wie z.B. Krebs oder Entzündungen, zu heilen.4
Auch im Kontext der Nachhaltigkeit spielen Polymere eine wichtige Rolle. Bisher sind sie in diesem Bereich allerdings auch eins der negativen Beispiele. Plastikmüll in den Weltmeeren ist allen ein Begriff und ein großes Problem. Mikroplastik ist allgegenwärtig und verbreitet sich immer mehr. Die Lösung hierzu kann ein verbessertes Recycling bieten, die Nutzung von biobasierten und bioabbaubaren Kunststoffen (z.B. Polylactide) oder auch von Materialien, die sich durch besondere Eigenschaften wie z.B. Selbstheilung auszeichnen. Ein besondere Klasse, die in Zukunft hier eine entscheidende Rolle spielen kann, sind Vitrimere,5 die es auch ermöglichen können, Polymerkomposite (Verbundswerkstoffe aus Polymeren und anderen Materialien) zu recyceln.
Solche intelligenten Materialien werden auch weitere Anwendungen ermöglichen. Beispielweise werden Formgedächtnismaterialien (Shape-Memory) zunehmend für medizinische Anwendungen interessant, intelligente Oberflächen können neben Selbstheilung auch schmutzabweisend oder antibakteriell sein. Solche Systeme sind in der heutigen Forschung schon allgegenwärtig, ihr Weg in die Marktreife hingegen ist noch weit.
Schließlich hat sich in den letzten Jahren ein Trend sehr stark im Bereich der Polymere durchgesetzt: der 3D-Druck.6 Von einer anfänglichen Idee in Forschungslaboren hat sich die Technologie mittlerweile so weiterentwickelt, dass sie industriell angewendet wird. Beispielweise werden in modernen Flugzeugen schon 3D-gedruckte Bauteile verwendet. Und der Trend ist noch lange nicht am Ende, da immer mehr Polymere verdruckt werden können, er in immer mehr Anwendungen genutzt werden kann und auch die Serienfertigung irgendwann möglich sein wird.
Autoren: Dr. Stefan Zechel und Prof. Dr. Ulrich S. Schubert (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh
H. Staudinger, Ber. Deut. Chem. Ges. 1920, 53, 1073-1085.
IUPAC. Compendium of Chemical Terminology, 2nd ed. (the "Gold Book").
S. Muench, A. Wild, C. Friebe, B. Häupler, T. Janoschka, U. S. Schubert, Chem. Rev. 2016, 116, 9438-9484.
K. Modjarrad, S. Ebnesajjad, Handbook of polymer applications in medicine and medical devices, 2014, Elsevier.
W. Denissen, J. M. Winne, F. E. Du Prez, Chem. Sci. 2016, 7, 30-38.
T. D. Hgo, A. Kashani, G. Imbalzano, K. T. Q. Nguyen, D. Hui, Compos. B: Eng. 2018, 143, 172-196.
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