Was ist eigentlich… Kokain ?
Kokain hat als Medikament und Rauschmittel eine lange Tradition. Sein Image schwankt zwischen Teufelszeug und einer Substanz, die die eigene Kreativität und damit das künstlerische Schaffen in ungeahnte Höhen treibt. Viele Größen der Pop- und Rockmusik thematisierten in ihren Biographien den gelegentlichen oder auch langjährigen Konsum von Alkohol und illegalen Drogen und oft auch die dramatischen Folgen davon.
Kokain wurde von vielen berühmten Rockstars nicht nur konsumiert, sondern auch besungen. Das Lied „Cocaine“ von J.J. Cale (1938-2013) wurde vor allem durch die Interpretation von Eric Clapton bekannt. Auch er ist ein Künstler, der jahrzehntelang von allen möglichen Drogen, auch Kokain, abhängig war.
Gewonnen aus Blättern des Cocastrauchs
Wäre Kokain frei verkäuflich, würden Marketing-Fachleute es heute wohl als „rein pflanzlich“ und „vegan“ bewerben. Denn gewonnen wird Kokain aus den Blättern des Cocastrauchs, einer Pflanze der Rotholzgewächse (Erythroxylaceae).
In den südamerikanischen Anden, der Heimat des Cocastrauchs werden die Blätter seit Jahrhunderten gekaut, um Müdigkeit und Hunger zu vertreiben. Auch ihre schmerzstillende Wirkung wird seit langem von den Einheimischen genutzt.
Um Kokain aus den Pflanzen zu gewinnen, sind einige chemische Reaktionen nötig, die hier nicht näher beschrieben werden. Die Reinheit oder besser gesagt mangelnde Reinheit der verwendeten Chemikalien sind eine Ursache der Verunreinigung von illegal hergestelltem Kokain. Neben den gesundheitlichen Gefahren der Substanz selbst (siehe unten) stellen diese Beimischungen ein unkalkulierbares Risiko des Kokainkonsums dar. Erhältlich ist Kokain meist als Hydrochlorid, ein weißes Pulver. Illegal erworbenes Kokain birgt eine weitere Gefahr, denn man sieht ihm nicht an, wenn es mit anderen womöglich sehr giftigen Substanzen gestreckt wurde, um die Gewinnspanne des illegalen Handels zu erhöhen.
In Deutschland zuerst isoliert
Kokain hat die Summenformel C17H21NO4 und gemäß der IUPAC den offiziellen Namen Methyl(1R,2R,3S,5S)-3-(benzoyloxy)-8-methyl-8-azabicyclo[3.2.1]octan-2-carboxylat [1].
Es gehört zu den Tropan-Alkaloiden. Sein Schmelzpunkt liegt bei 98 °C. Erstmals in reiner Form isoliert wurde Kokain im Jahr 1860 von dem Chemiker Albert Niemann (1834-1861), einem Schüler Friedrich Wöhlers (Abb. 3) [2].
Wöhler, der seit 1836 den Lehrstuhl für Chemie und Pharmazie der Universität Göttingen bekleidete, war sehr interessiert an Naturstoffen. Er hatte mit der Synthese des „natürlichen“ Stoffes Urea (Harnstoff) aus dem „künstlichen“ Stoff Ammoniumcyanat die Grenzen von „belebter“ und „unbelebter“ Materie verwischt. Durch persönliche Kontakte hatte er eine Kiste von Cocablättern erhalten, die auf der sogenannten Novara-Expedition, einer Weltumseglung mehrerer Wissenschaftler in den Jahren 1857-1859, in Südamerika gesammelt worden waren. Er beauftragte seinen Assistenten Niemann mit der Untersuchung der Blätter und Niemann gab der von ihm isolierten Substanz den Namen Kokain.
Da Niemann sehr früh verstarb, führten andere Chemiker seine Forschung weiter. Die Summenformel von Kokain wurde 1862 von Wilhelm Lossen und seine Struktur 1898 von Richard Willstätter aufgeklärt.
Kokain als Medikament
Wegen seiner schmerzstillenden Wirkung, die ja von den Einheimischen in der südamerikanischen Heimat des Cocastrauches bekannt war, setzte man große Hoffnungen auf den Einsatz von Kokain als Schmerzmittel. Insbesondere hoffte man, damit Morphin (Morphium) ersetzen zu können, eines der wenigen damals verfügbaren Schmerzmittel, das die Patienten aber schnell süchtig machte. Dass auch Kokain ein hohes Suchtpotential hatte, erkannte man erst später.
Schon 1862 brachte die Firma Merck erstmals Kokain als Medikament auf den Markt (Abb. 3). Großes Interesse weckte Kokain bei Sigmund Freud (1856–1939), der zu jenem Zeitpunkt als Assistenzarzt in einem Wiener Krankenhaus tätig war. Er ließ sich 1884 von Merck ein Gramm Kokain schicken ließ und testete es in Selbstversuchen, vor allem zur Behandlung von Erschöpfungszuständen und Verstimmung. Er war von der Wirkung offenbar recht angetan, wie er in Briefen an seine Verlobte schrieb. Neben dieser Wirkung auf das Wohlbefinden glaubte auch er, dass Kokain gegen die Sucht nach Morphin helfen könnte und empfahl es einem befreundeten morphinsüchtigen Kollegen, der allerdings seine Morphinsucht gegen eine Kokainabhängigkeit eintauschte und kurz darauf verstarb.
Obwohl Freud sich auch mit Kokain als Schmerzmittel beschäftigte, war es der Augenarzt Carl Koller (1857-1944), der für den Durchbruch von Kokain als lokales Betäubungsmittel sorgte. Er hatte in Eigen- und Tierversuchen die Betäubung der Hornhaut untersucht und seine Ergebnisse 1884 auf einem Augenärzte-Kongress vorgestellt. Augenoperationen, die zuvor wegen der reflexhaften Bewegungen der Augen bei jeder Berührung sehr schwierig waren, wurden dadurch erheblich leichter durchführbar [3,4].
Vin Mariani – vom Papst empfohlen
Jetzt, nachdem die hilfreiche Wirkung von Kokain bekannt und die Substanz in Europa verfügbar war, gab es kein Halten mehr. Kein Wunder, dass man bald versuchte, Kokain mit einer anderen sehr populären Substanz – dem Alkohol – zu verbinden. „Medizinalweine“ hießen die damals mit allerlei Substanzen versetzten Weine, die gegen verschiedene gesundheitliche Beschwerden helfen sollten und bald kamen auch Weine, die mit Extrakten der Cocablätter versetzt waren, auf den Markt.
Einer der bekanntesten Medizinalweine in den 1860er Jahren war der eines gewissen Angelo Mariani, der einen Rotwein mit Extrakten von Cocablättern versetzte und verkaufte. Sein Vin Mariani sollte gegen fast alles helfen – ob allgemeine Schwäche, Herzbeschwerden, Seekrankheit, Tuberkulose, Migräne und vieles mehr. Vor allem aber wurde es zum beliebten Lifestyle-Produkt, das man gerne konsumierte, um sich wohl zu fühlen.
Verschiedenen Quellen gemäß sollten unter anderem damalige Promis wie Jules Verne, Thomas Alva Edison oder Königin Victoria von Großbritannien sich gerne mal ein Gläschen Vin Mariani gegönnt haben. Auch Papst Leo XIII (Amtszeit von 1873 bis 1903) zählte zu den Anhängern des Gebräus und adelte Vin Mariani mit einer Medaille, was sogar auf Werbeplakaten vermarktet wurde. (Abb.4.) [4, 5]
Coca Cola – ein Klassiker entsteht
Wie bereits erwähnt, hoffte man mit Kokain die Sucht nach Morphin zu bekämpfen. Auch John Stith Pemberton (1831 bis 1888), ein amerikanischer Apotheker, war vermutlich wegen einer Kriegsverletzung und der daraus resultierenden chronischen Schmerzen morphinsüchtig und experimentierte mit der erfolgversprechenden Kombination Kokain und Wein. Er entwickelte 1885 ein Getränk namens French Wine Coca, das er auch auf den Markt brachte. Allerdings kam zu jener Zeit in Nordamerika die Abstinenzbewegung auf, die Alkohol strikt ablehnte. So entwickelte Pemperton 1886 ein modifiziertes Getränk, das zwar noch Coca-Extrakte, aber keinen Alkohol mehr enthielt. Sein Buchhalter Frank Mason Robinson nannte das Getränk „Coca Cola“ – der Rest ist Geschichte [6, 7].
Na ja, nicht ganz, denn natürlich ist in der berühmtesten Limonade der Welt schon lange kein Kokain-Extrakt mehr drin. Das Rezept ist nach wie vor streng geheim, aber schon Anfang der 1900er Jahre verbannte man die berauschenden Anteile der Coca-Blätter aus dem Getränk, auch wenn angeblich noch Bestandteile des Coca-Strauchs zum Rezept gehörten. Denn langsam merkte man, dass Kokain keineswegs harmlos war und gravierende Nebenwirkungen hatte.
Zu Risiken und Nebenwirkungen…
Und so endete der Höhenflug des Kokains fast so schnell, wie er begonnen hatte. Bereits ab 1897 wurde im US-Bundesstaat Illinois Cocain nur noch gegen Rezept abgegeben, nach und nach folgten auch andere Bundesstaaten, bis im Jahr 1914 Rezeptpflicht und Dokumentationspflichten mit dem „Narcotics Act“ bundesweit eingeführt wurden.
Auch in Europa wurden entsprechende Regelungen getroffen. 1912 wurde als Ergebnis der ersten Opiumkonferenz in Den Haag das Internationale Opium-Abkommen von mehreren Ländern, darunter auch Deutschland unterzeichnet. Während der sogenannten 2. Opiumkonferenz 1925 wurde in Genf ein überarbeitetes, deutlich restriktiveres Abkommen unterzeichnet, das Opium ebenso wie Heroin, Kokain und Cannabis verbot.
In Deutschland wurde 1929 ein Opiumgesetz verabschiedet, das die Überwachung für Drogen im medizinischen Bereich erhöhte sowie die Strafen für den illegalen Handel verschärfte. Ab 1930 durften Cocablätter und ihre Zubereitungen in Deutschland nicht mehr verschrieben werden [4, 8, 9].
Wie wirkt Kokain?
Kokain ist ein so genannter Wiederaufnahmehemmer. Darunter versteht man, vereinfacht gesagt, Substanzen, die im zentralen Nervensystem den Transport der körpereigenen Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin blockieren. Diese Neurotransmitter sind Botenstoffe, die an chemischen Synapsen die Erregung von einer Nervenzelle auf andere Zellen übertragen. Kokain blockiert diesen Transport von einer Zelle zur nächsten. Stattdessen kommt es zu einer hohen Konzentration dieser Stoffe zwischen den Synapsen und damit zu einer starken Stimulation des zentralen Nervensystems. Daraus resultiert eine gesteigerte Wachheit, das Selbstwertgefühl wird gesteigert, Hemmungen gesenkt und die Stimmung wird oft euphorisch. Puls, Blutdruck, Atemfrequenz steigen an. Insgesamt läuft der Körper also auf Hochtouren.
Dies hat allerdings auch negative Folgen, vor allem, wenn die euphorische Phase abklingt, was schon nach 20-60 Minuten der Fall ist. Dann gewinnen Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung bis hin zu Angstzuständen, Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und Suizidgedanken die Oberhand. Weitere Folgen können von Krampfanfällen, Bewusstseinsstörungen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen bis hin zu Atemkreislaufversagen und Herzinfarkt führen. „Die spezifische Wirkung des Kokains kann insbesondere bei Personen, die für die Effekte der Droge besonders empfänglich sind, rasch zu einer Abhängigkeit führen“, heißt es bei drugcom.de, einem Portal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). „Personen, die größere Selbstwertprobleme haben, die also nicht zufrieden mit sich sind beziehungsweise gerne stärker, selbstbewusster oder einfach "besser" sein wollen, sind deshalb besonders gefährdet“ [10, 11, 12].
Machen Kokain und andere Drogen kreativ ?
Zurück zum Anfang dieses Beitrags. Machen Kokain und andere illegale Drogen kreativ, wenigstens ein bisschen?
Nein, machen sie wohl nicht, zumindest in den meisten Fällen nicht. Das sagt jedenfalls einer, der es wissen muss. "I’ve never felt, that it did anything to my creativity”, sagte Rolling Stones-Gitarrist Keith Richards 2015 in einem Interview. "It kept me up a lot at night, looking for the stuff. It was something I had to stop.” ("Ich hatte nie das Gefühl, dass es einen Einfluss auf meine Kreativität hat. Es hat mich nachts oft wachgehalten, auf der Suche nach mehr von dem Zeug. Es war etwas, das ich beenden musste.“) [13]
Und auch eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2013, die sich mit dem kreativen Werk Jim Morrisons (1943-1971), Sänger und Songwriter der Rockband „The Doors“, beschäftigte, kam zu diesem Schluss. Der Psychotherapeut und Kreativitätsforscher Rainer M. Holm-Hadulla, ehemals Professor für Psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg, hatte für diese Studie Liedtexte und Gedichte Morrisons ausgewertet, ebenso wie Interviews und Berichte von Freunden, Arbeitskollegen und Familienangehörigen.
Danach hat der exzessive Konsum von Alkohol und Drogen die Kreativität Jim Morrisons nicht etwa gefördert, sondern in relativ kurzer Zeit zerstört. „Beeinträchtigt war vor allem seine Fähigkeit, kreative Eingebungen auszuarbeiten und umsetzen“, fand der Wissenschaftler heraus. „In einem Teufelskreis haben Alkohol und Drogen seine Kreativität beschädigt, und als Reaktion auf den Verlust schöpferischer Potenzen hat sich besonders sein Alkoholkonsum selbstmörderisch verstärkt.“ [14]
Bessere Alternative: Kaffee
Unseren kreativen Kick fürs Gehirn können wir uns wesentlich ungefährlicher, kostengünstiger und völlig legal holen: durch Kaffee. Auch das im Kaffee enthaltene Koffein ist ein Alkaloid und moduliert die Freisetzung der Neurotransmitter Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin, indem es die Adenosin-Rezeptoren blockiert. Die Wirkung ist längst nicht so heftig wie bei Kokain, sondern angenehm anregend. Es wirkt stimulierend auf unser Herz, macht uns wacher und bringt unsere grauen Zellen wieder in Schwung [15].
Dr. Karin J. Schmitz
Leiterin GDCh-Öffentlichkeitsarbeit
Quellen
[1] Kokain (Wikipedia)
[2] Albert Niemann (Wikipedia)
[3] P. Nuhn: Sigmund Freud und das Problem der Suchtstoffe
[4] Thomas K. Langebner: Über Coca in der westlichen Medizin
[5] Functional Food vor 100 Jahren: Der Cocain-Wein
[6] John Stith Pemperton (Wikipedia)
[7] Frank Mason Robinson (Wikipedia)
[8] Opiumkonferenz (Wikipedia)
[9] Opiumgesetz (Wikipedia)
[10] Drugcom zu Kokain
[11] Drugkom Fragen zu Kokain
[12] Steckbrief Kokain
[13] BBC Radio 4 Desert Island Disks – Keith Richards
[14] Drogen- und Alkoholexzesse zerstörten Jim Morrisons kreatives Potential
Originalveröffentlichung: R. Holm-Hadulla: Creativity, Alcohol and Drug Abuse. The Pop Icon Jim Morrison; Psychopathology, doi: 10.1159/000354617
[15] Steckbrief Koffein
Weitere Informationen: https://www.kokain-museum.de
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Kommentare
Lars Fischer
am 16.06.2023ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie mit dem Hinweis auf weitere Informationen auf meine Website https://www.kokain-museum.de verwiesen haben.
Vielen Dank und liebe Grüße aus Goslar
Lars Fischer
kjs (Redaktion)
am 23.06.2023