Was ist eigentlich Glas?

 

Glas ist ein faszinierender und charismatischer Werkstoff. Es ist oft transparent (lichtdurchlässig) und bringt so Licht an manch „dunklen Ort“. Glas ist – sprichwörtlich – zerbrechlich und damit ein Symbol für Vergänglichkeit. 

Glas entsteht auf natürliche Weise aus geschmolzenem Sand bei Vulkanausbrüchen oder durch Meteoriteneinschläge. Natürliches Glas wie Obsidiane wurden wegen ihrer großen Härte und scharfer Kanten seit frühester Zeit für Werkzeuge verwendet.

Woraus besteht Glas?

Auf die Frage nach der Zusammensetzung von Glas finden wir bereits um 650 v. Chr. im Assyrischen Königreich einen ersten Hinweis auf einer Tontafel: „Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Kreide – und du erhältst Glas“. Sand, Kalk, Soda und Pottasche heißt es dann in späteren Rezepturen. [1]

Für uns Chemikerinnen und Chemiker besteht Glas unter anderen aus Siliciumdioxid (SiO2, Sand), Calciumcarbonat (CaCO3, Kalk, Kreide), Natriumcarbonat (Na2CO3, Soda), und Kaliumcarbonat (K2CO3, Pottasche). Dieses Gemenge wird bei rund 1400 °C geschmolzen, und danach wird die Schmelze schnell zu einem amorphen Festkörper, dem Glas, abgekühlt. Der größte Teil der heute produzierten Massengläser sind Kalk-Natron-Gläser obiger Zusammensetzung.

Glashütten auf der Basis historischer Produktionsverfahren sowie der Beruf des Glasbläsers spielen heute nur noch eine untergeordnete Rolle, meist im kunsthandwerklichen Bereich oder bei speziellen optischen Gläsern. Glas wird heute in großindustriellen Anlagen durch Pressen, Blasen, Schleudern, Spinnen, Walzen und Ziehen der Glasschmelze geformt. 

Im industriellen Maßstab werden Gegenstände aus Flachglas, Glasfasern, Glaswolle, Hohlglas und Rohrglas hergestellt. Massenglas wird zum Beispiel durch eine kontinuierliche Wannenschmelze produziert. Die Aufnahmekapazität einer solchen Wanne kann bis zu 5000 Tonnen und der Durchsatz mehr als 800 Tonnen pro Tag betragen.

Die Basis von Glas: Quarzsand

Wichtigstes Ausgangsmaterial zur Glasherstellung ist Quarzsand SiO2. Neben reinem Siliciumdioxid (SiO2) können als Netzwerkbildner noch Bortrioxid (B2O3), Phosphorpentoxid (P4O10) und weitere Materialen zur Formung der molekularen Grundstruktur von Glas eingesetzt werden, indem sie ein regelloses, dreidimensionales Netzwerk aufbauen. So enthält beispielsweise das hitzefeste Borosilikatglas 70-80 % SiOund 7-13 % B2O3.

Stoffe wie Soda (Na2CO3), aus dem in der Glasschmelze Natriumoxid (Na2O) gebildet wird, und Pottasche (K2CO3), die sich in der Schmelze in Kaliumoxid (K2O) umwandelt, dienen als Netzwerkwandler und setzen gleichzeitig die Schmelztemperatur der Glasschmelze herab. Netzwerkwandler unterbrechen das polymerartige, dreidimensionale Netzwerk und verändern so durch einen verringerten Vernetzungsgrad die Struktur und Eigenschaften eines Glases. 

Das in der Schmelze gebildete Kohlendioxid (CO2) wird als Gas aus der Schmelze freigesetzt. Auch der Grundstoff Kalk (CaCO3) dient zusätzlich als Netzwerkwandler und zersetzt sich in der Schmelze zu Calciumoxid (CaO). Calciumoxid erhöht bei geringer Zugabe (10-15 %) die Härte und chemische Beständigkeit eines Glases.

Altglas aus dem Glas-Recycling ist heute ein wichtiger Rohstoff für die Behälterindustrie, denn Glasflaschen bestehen zu rund 60 % aus Altglas, bei grünen Flaschen sind es sogar bis zu 95 %. In der Regel enthalten Gläser mehr als drei Komponenten, lediglich Quarzglas besteht als Einkomponentenglas aus reinem Siliciumdioxid. Die Zusammensetzung von Glas ist vielfältig. Über 50 der rund 90 auf der Erde vorkommenden Elemente können in Glas vorkommen. [1].

Die Kalk-Natron-Gläser zählen als oxidische Gläser zur großen Gruppe der anorganischen Gläser. Daneben existieren auch organische Gläser wie der natürliche Bernstein oder transparente Kunststoffe wie das polymere Acrylglas (Polymethylmethacrylat, kurz PMMA). das umgangssprachlich als Plexiglas bezeichnet wird.

Struktur von Glas

Glas ist der Sammelbegriff für eine Gruppe amorpher Feststoffe, die durch Schmelzen und nachfolgendem schnellem Abkühlen erzeugt werden. Das schnelle Abkühlen ist wesentlich, denn beim Erstarren einer Glasschmelze bilden sich zwar Kristallkeime, aber für einen kompletten Kristallisationsprozess reicht die Zeit nicht aus. Dies wird am molekularen, dreidimensionalen Aufbau eines Quarzkristalls und eines Quarzglases näher erläutert:

Die obere Abbildung 3.a. zeigt den zweidimensionalen Aufbau eines Quarzkristalls mit hoher, durch den gesamten Kristall sich fortsetzender Anordnung der Gitterbausteine von SiO4-Tetraedern. Im dreidimensionalen Netzwerk eines Quarzkristalls ist jedes Siliciumatom tetraedrisch von vier Sauerstoffatomen umgeben. 

Die mittlere Abbildung 3.b. zeigt den Aufbau von amorphem Quarzglas, bestehend aus einem Netzwerk von regellos aneinandergereihten SiO4-Tetraedern. Durch zusätzliche Bestandteile in einem Mehrkomponentenglas wie dem Kalk-Natron-Glas (Abbildung 3.c.) wird dieses Netzwerk noch weiter „aufgeweitet“. Anstelle von starken Atombindungen zwischen Silicium und Sauerstoff geht hier der Sauerstoff in diesen Gläsern auch deutlich schwächere Bindungen (Ionenbindung) zu Alkali- und Erdalkali-Ionen ein. Ein solches Glas wird denn auch bei niedrigeren Temperaturen weich als etwa Quarzglas.

Glas ist amorph

Glas ist ein amorpher Stoff: Beim schnellen Abkühlen einer Glasschmelze wird das flüssige Glas quasi eingefroren. Je langsamer eine Glasschmelze erstarrt, desto größer ist dann der Ordnungsgrad und umso regelmäßiger ist die Anordnung der jeweiligen Bausteine in einem Glaskörper. Amorphe Stoffe haben keinen exakten Schmelz- und Erstarrungspunkt. Sie gehen vielmehr beim Erwärmen durch langsames Erweichen über einen bestimmten Temperaturbereich (Transformationsbereich; Erstarrungsbereich) in den flüssigen Zustand über. So können Gläser verformt werden.

Amorphe Stoffe sind isotrop im Gegensatz zu den anisotropen, kristallinen Stoffen. Das heißt, Glas ist homogen und besitzt keine bestimmte Vorzugsrichtung für bestimme Eigenschaften (physikalische Eigenschaften, biologische Parameter). Ein Beispiel für einen natürlichen amorphen Stoff ist flüssiger Honig.

Glas ist weitgehend resistent gegenüber den meisten Chemikalien. Eine Ausnahme ist Flusssäure (HF), die Glas ätzt.

Wichtigste Eigenschaft von Glas: Durchsichtig

Die auffälligste Eigenschaft von Glas ist seine optische Durchlässigkeit. Daneben existieren auch Gläser, bei denen durch Zumischung bestimmter Stoffe die Durchlässigkeit gemindert oder ganz blockiert wird. So existieren beispielsweise Gläser, die Wärmestrahlung (Licht des infraroten Spektralbereichs) nicht durchlassen. 

Und manche Brillengläser werden bei Sonneneinstrahlung automatisch dunkel (phototroper oder photochromer Effekt) und verwandeln sich so in eine Sonnenbrille. Dies beruht auf einer dünnen Schicht mit phototropen Molekülen auf der Brillenglasoberfläche, die sich bei UV-Strahlung anders ausrichten und das Glas abdunkeln. Früher waren in phototropen Gläsern Silberhalogenide enthalten. Bei Einstrahlung von ultraviolettem Licht wurde atomares Silber ausgeschieden, welches das betreffende Glas dunkel färbte [2].

Glasfarben durch Zusatz von Metalloxiden

Glas hat eine lange Geschichte

Glas als Werkstoff und seine Herstellung kennen wir seit mehr als 3.000 Jahren. Die Wiege des Glashandwerks stand vermutlich im Zweistromland (Mesopotamien), dem Landstrich zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, heute Irak. Wahrscheinlich ist Glas durch Zufall als Abfallprodukt beim Brennen von Töpferwaren entdeckt worden. 

Während sich im antiken Ägypten – so um 1550 v. Chr. – nur Pharaonen und ihr Hofstaat mit Glasperlen schmücken konnten, wurde Glas bereits im Römischen Reich zu einem Werkstoff für Alltagsgegenstände. Ehrfürchtig stehen wir im Britischen Museum vor dem Lykurgus-Becher aus dem 4. Jahrhundert, der aus dichroitischem Glas besteht und je nach Beleuchtung eine beeindruckende Farbveränderung zeigt. (dichroitisch: griechisch für „zweifarbig“). Von vorne beleuchtet ist er jadegrün (Abb. 4.a), von hinten beleuchtet erscheint er tiefrot (Abb. 4.b). Dieser dichroitische Effekt wird erzielt durch winzige, kolloidal verteilte Nanopartikel aus Gold und Silber im Siliciumdioxid-Netzwerk der Glasmatrix.

Berühmt: Venezianisches Glas

Zu allen Zeiten fand Venezianisches Glas (Murano-Glas) seine Liebhaber und erfreute sich großer Popularität. Seine Blütezeit waren das 15. und 16. Jahrhundert mit der Erschaffung des „cristallo“ in den Glashütten von Murano, einer Inselgruppe nördlich von Venedig, auf die man die Werkstätten der Glasmacher aufgrund der Brandgefahr ausgelagert hatte (Abb. 6). 

Manche Menschen sammeln Böhmisches Glas, vor allem Gegenstände in herrlichem, tiefen Kobaltblau (Abb. 4). Ehrfurchtsvoll und staunend betrachten wir in den Gotteshäusern die bunten Kirchenfenster. Besonders eindrucksvoll sind diese Fenster aus gotischem Buntglas in der Kathedrale von Chartres in Frankreich (Abb. 7).

Berühmte Glaspyramide

Der Werkstoff Glas hat schon immer auch Architekten inspiriert. Bei Glasfassaden denkt man spontan an die anfänglich heftig umstrittene und von Kritikern verspottete Glaspyramide im Innenhof des Louvre in Paris (Titelfoto oben). Heute gilt der Haupteingang für dieses bedeutende Museum in der französischen Hauptstadt mit seinen 603 rautenförmigen und 70 dreieckigen Glassegmenten als architektonische Meisterleistung, die oft nachgeahmt wurde. 

Glasfenster zählen generell zu den ästhetischen Hauptelementen für die Gliederung einer Fassade. Trinkgläser in den verschiedensten Ausführungen sind Gegenstände unseres Alltags. An dieser Stelle sei des Weiteren an den lebensrettenden Charakter von Sicherheitsglas erinnert, aus dem zum Beispiel die Scheiben unseres Autos gefertigt sind.

Geschichte der optischen Gläser beginnt in Jena

Wenn wir an optische Gläser und ihre Verwendung denken, fallen uns spontan die Namen Ernst Abbe und Carl Zeiss in Jena ein, welche die Grundlagen der modernen Optik für viele wissenschaftliche Instrumente geschaffen haben. In der 1847 gegründeten Firma Carl Zeiss mussten viele Startschwierigkeiten überwunden werden, ehe 1872 Mikroskope und mikroskopische Apparate in einer bis dahin nie gekannten Qualität angeboten werden konnten. 

Der legendäre Ruf der Jenaer Glasoptik wäre aber ohne eine dritte Person, den in Witten geborenen Otto Schott, nicht möglich gewesen. Er wagte es, alte Glasmacherrezepturen zu hinterfragen und experimentierte mit neuen Rohstoffen. So entwickelte Schott 1879 mit dem Lithiumglas eine neue Glassorte, und er erreichte damit eine bis dato nie gekannte Homogenität für optische Gläser. 

Die Jenaer Glaswerke Schott & Genossen und die Stadt Jena wurden binnen kürzester Zeit zum wichtigsten Standort für die Produktion optischer Gläser. 1891 entwickelte Schott das hitzebeständige und chemisch resistente Borosilikatglas. Als „feuerfestes“ Gebrauchsglas wurde es ab den 1920er Jahren unter dem Markennamen JENAer GLASTM produziert und vertrieben und fand sowohl in der Industrie als auch in Haushaltsgeräten breite Anwendung. Chemikerinnen und Chemiker schätzen und nutzen dieses Glas unter verschiedenen Handelsnamen als Werkstoff für Laborglasgeräte wie Erlenmeyerkolben, Bechergläser und Reagenzgläser.

Heute in fast jeder Küche vorhanden

Bei der SCHOTT AG, heute in Mainz, blieb die Entwicklung nicht stehen, und man fertigte ab 1971 – zunächst in einer kleinen Serie – Geräte aus temperaturwechselbeständigem Glas an. Unter dem Markennamen CeranTM werden heute Glaskeramiken gehandelt, die eine hohe Durchlässigkeit für Wärmestrahlung, aber eine geringe Wärmeleitfähigkeit und eine hohe Beständigkeit gegenüber einem Temperaturwechsel aufweisen. „Ceran“ wurde umgangssprachlich zum Synonym für Glaskeramik-Kochfelder. Die geringe Wärmeleitfähigkeit der Glaskeramik führt dazu, dass der Bereich neben der Kochstelle kalt bleibt.

Der Beitrag wurde vom Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit der Seniorexperten Chemie, einer Fachgruppe der Gesellschaft Deutscher Chemiker, erstellt. 

Autor: Prof. Dr. Eberhard Ehlers (bearbeitet durch kjs, Redaktion FaszinationChemie)

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