Hormone – die universellen Botenstoffe unseres Körpers
Folge 6: Aktuelle Chemie 2019 – Medizin und Gesundheit
Hormone sind unentbehrliche Botenstoffe, die viele Vorgänge unseres Körpers steuern und regulieren. Die Messung von Hormonen im Blut ist daher ein wichtiger Teil der medzinischen Diagnostik.
Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle – kontrolliert durch Hormone
Ein beliebter Spruch lautet: „Alles Leben ist Chemie!“ Das stimmt – und es stimmt doch wieder nicht. Denn nicht alle Aspekte des persönlichen Schicksals haben mit Chemie zu tun.
Der Spruch stimmt in gewisser Weise aber doch! Denn alles, was unser Leben ausmacht – Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle – korreliert mit chemischen Reaktionen in unserem Körper. Diese laufen in unterschiedlichsten Organen ab, die ihrerseits miteinander in Verbindung stehen und in ihrer Gesamtheit den Organismus darstellen. Das Zusammenwirken der Organe äußert sich auf chemischer Ebene im Austausch bestimmter Stoffe. Über die Blutbahn gelangen sie von einem Organ zum anderen und können dort chemische und in weiterer Folge physiologische Reaktionen auslösen. Aufgrund dieser Funktion tragen sie den bildhaften Namen Botenstoffe – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nennen sie Hormone.
Die Moleküle verschiedener Hormone können sehr unterschiedlich aussehen, sie stellen daher keine einheitliche Stoffgruppe dar. Ihr individueller atomarer Aufbau ist sogar eine Voraussetzung dafür, dass sie gezielt wirken: Denn über das Blut gelangt ein bestimmtes Hormon in sämtliche Organe, eine chemische Reaktion kann es aber nur in manchen davon auslösen. Diese heißen Zielorgane. Ob das Hormon tatsächlich eine Wirkung entfaltet, hängt aber auch noch vom konkreten Zustand des Zielorgans ab. Es verfügt nämlich über spezifische Protein-Moleküle, an denen sich die Hormonmoleküle anlagern können. Kommt es zur Anlagerung, dann entsteht eine Verbindung, von der die biologische Wirkung ausgeht. In Abhängigkeit vom Stoffwechselzustand ist das Gewebe bzw. Protein aber nicht immer reaktionsbereit – das Hormon lagert sich dann nicht an.
Der menschliche Organismus kann als dynamisches System betrachtet werden. Zum Beispiel ändert sich der Zustand bzw. die Aktivität der Organe im Verlauf des Tages, und auch der weibliche Menstruationszyklus stellt einen organischen Rhythmus dar. Der Hormongehalt im Blut spiegelt diese biologischen Entwicklungen und Rhythmen des Lebens wider. Besonders eindrücklich ist dies im Fall der Sexualhormone, weil sich die sexuellen Funktionen im Körper über viele Jahrzehnte entwickeln und verändern.
Wichtiger Standard: Immunoassays
„Der Gehalt an Steroidhormonen in Körperflüssigkeiten wird seit den 1970er-Jahren mit sogenannten Immunoassays bestimmt“, erläutert Jürgen Kratzsch. Diese Methode basiert auf spezifischen Wechselwirkungen zwischen dem in einer flüssigen Phase gelösten Hormon und einer festen Phase. Im Fall absoluter Spezifität kann sich nur ein bestimmtes Hormon an die feste Phase anlagern – ähnlich der Wirkungsweise des Hormons in den Zielorganen des Organismus. „Je nachdem, ob die flüssige Phase vorbehandelt wird oder nicht, liefern Immunoassays mehr oder weniger verlässliche Ergebnisse. Ihre bei manchen Hormonen zu geringe Spezifität stellt jedenfalls einen unvermeidbaren Nachteil dieser Methode dar.“
Kratzsch arbeitet daher daran, die Massenspektrometrie für die Bestimmung des Hormongehalts in der Labormedizin weiterzuentwickeln. Diese Analysenmethode basiert auf einem ganz anderen Prinzip als Immunoassays: Im Allgemeinen haben Moleküle verschiedener Stoffe unterschiedliche Massen. Beschleunigt man die Moleküle eines Stoffgemischs, so trennen sie sich entsprechend ihrer unterschiedlichen, von der Molekülmasse abhängigen Trägheit auf. (Zur Massenspektrometrie s. auch den Beitrag zum Neugeborenen-Screening.)
Bis vor kurzem war die Massenspektrometrie für die Hormonmessung in der Krankheitsdiagnostik zu teuer und zu langsam. Im Jahr 2016 gelang es allerdings der Gruppe um Prof. Uta Ceglarek (ebenfalls Universitätsklinikum Leipzig) gemeinsam mit Kratzsch, diese Einschränkungen zu überwinden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten ein massenspektrometrisches Verfahren, das die jeweilige Menge der acht wichtigsten Steroidhormone im Blut in einer einzigen Messung bestimmt. Dem gegenüber stehen acht Immunoassays, weil bei dieser Methode jedes Hormon eine andere feste Phase benötigt. „Unser Verfahren ist sehr schnell und kosteneffizient“, so Kratzsch. Er ist daher davon überzeugt, dass bei der routinemäßigen Hormonmessung die Massenspektrometrie Immunoassays an immer mehr Kliniken ablösen wird.
Hormone geben Auskunft über Krankheiten
Prof. Dr. Jürgen Kratzsch vom Universitätsklinikum Leipzig ist Spezialist für die Messung des Gehalts an Sexual- und anderen Steroidhormonen in Körperflüssigkeiten. Im klinischen Alltag handelt es sich vor allem um Blut-, Speichel- und Urinproben. Er interessiert sich für Hormone, weil sie Auskunft über das Vorliegen mancher Krankheiten geben. Zu diesen gehören eine Vielzahl von Tumoren, Fortpflanzungsstörungen und Bluthochdruck. Kratzsch weiß, dass die „verschiedensten Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Schwangerschaft und Stress bei der Beurteilung des Hormongehalts berücksichtigt werden müssen. Je nach Lebenssituation, Zeitpunkt der Blutabnahme und ähnlichem haben nämlich auch gesunde Menschen unterschiedlich viel eines Hormons im Blut.“
Die labormedizinische Diagnose von Erkrankungen, die mit einer veränderten Hormonkonzentration in Körperflüssigkeiten zusammenhängen, setzt daher zweierlei voraus. Einerseits muss die Menge des entsprechenden Hormons beispielsweise im Blut sehr genau bekannt sein. Andererseits muss der Arzt wissen, wie viel des Hormons bei einem gesunden Menschen vorliegt – unter Beachtung der bereits angesprochenen Einflussfaktoren. Es ist das Verdienst der Chemie, entsprechende Nachweisverfahren entwickelt zu haben.
Eine Herausforderung bei der Bestimmung des Hormongehalts besteht darin, dass dieser unabhängig von der Art der analysierten Probe generell sehr klein ist. Darüber hinaus muss das Analysenprinzip extrem spezifisch sein. Das bedeutet, dass im Idealfall nur das gewünschte Hormonmolekül detektiert wird. Um neben der Forschung auch für labormedizinische Untersuchungen infrage zu kommen, muss die Analysenmethode weitere Kriterien erfüllen. Die Messung muss schnell ablaufen, um innerhalb kurzer Zeit viele Proben prüfen zu können. Außerdem darf sie nicht zu teuer sein.
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Jürgen Kratzsch (Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik am Universitätsklinikum Leipzig)
Dr. Markus Seidl-Nigsch
Schoppernau, Österreich
Dieser Beitrag wurde auf FaszinationChemie erstmalig veröffentlicht am 05.04.2019.
Kommentare
K. Matthews
am 09.01.2021